Neuer Wettlauf
2. Mai 2012Im Sprachschatz der deutschen Politik sind in der letzten Zeit Vokabeln wieder in Mode gekommen, die lange aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. "Rohstoffsicherung" ist so ein Wort, oder "Rohstoffaußenpolitik", wie es der außenpolitische Sprecher der konservativen Fraktion im Bundestag, Philip Missfelder, nennt. Schon drei Mal hat seine Partei einen Kongress zu diesem Thema mit externen Experten abgehalten. Die Regierungspartei warnt davor, dass Deutschland bei der Verteilung von Ressourcen den Kürzeren ziehen könnte. "Man muss ganz nüchtern sein", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel: "In der Praxis erleben wir sehr oft, dass andere Länder schneller sind."
Ohne Rohstoffe keine Produkte
Noch vor wenigen Jahren, sagt Ulrich Grillo, der Vizepräsident des Bundes der Deutschen Industrie, habe der damalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle die Industrie beschieden, es sei nicht die Aufgabe der Regierung, Rohstoffe zu beschaffen. Die Unternehmen müssten diese selbst auf dem Markt kaufen. Jetzt reist die Bundeskanzlerin um die Welt und schließt "Rohstoffpartnerschaften" mit ressourcenreichen Ländern. Mit Kasachstan und der Mongolei hat Deutschland inzwischen solche Verträge geschlossen. Auch die Europäische Union hat eine "Rohstoffstrategie" verabschiedet und bemüht sich, Abkommen mit rohstoffreichen Ländern vom Kap der Guten Hoffnung bis Grönland zu schließen. "Eines ist sicher", warnt Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Wer den notwendigen Rohstoffzugang nicht hat, wird auch keine neuen Produkte entwickeln können."
Denn seit dem Aufstieg Chinas und anderer Schwellenländer findet ein Wettlauf um die Sicherung von Ressourcen statt, der nicht nur über den Preis ausgetragen wird, sondern wieder stärker über Verträge, Schürfrechte und politische Bindungen. Die deutsche Industrie will deshalb selbst wieder in das Geschäft mit den Rohstoffen einsteigen. In den vergangenen Tagen haben zehn große Unternehmen eine Rohstoffallianz GmbH gegründet, die in den Handel und die Schürfung von wichtigen Ressourcen einsteigen soll. Beteiligt sind die großen Industriekonzerne Deutschlands: Thyssen, BASF, die großen Automobilkonzerne. Immerhin hält sich die deutsche Industrie für einen attraktiven Partner für die Ursprungsländer. "Wir haben nicht die große Portokasse der Chinesen", sagt Grillo. "Aber wir haben Technologie zu bieten, wir haben Know-How zu bieten, deshalb wollen viele Länder auch mit Deutschland etwas anfangen."
Kaum Interesse an Schürfrechten
Lange war für Deutschland die Rohstoffsicherung kein Problem. Die westlichen Industrieländer teilten die Bodenschätze Afrikas und Asiens weitgehend unter sich auf. Die Nachfrage überstieg nicht das Angebot, Rohstoffe waren auf dem Markt zu bekommen und es war nicht absehbar, dass sich das jemals ändern würde. "Damals war klar: Rohstoffe können wir kaufen, wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz", sagt Grillo.
So groß war das Vertrauen in die Weltmärkte, dass viele deutsche Firmen nach und nach aus der Rohstoffgewinnung und der Beteiligungen an Schürfrechten in anderen Ländern ausstiegen. Große Rohstoffkonzerne wie die Preussag wandelten sich zu Mischkonzernen mit Schwerpunkten wie Konsumgüter oder Dienstleistungen. Aus dem ehemaligen Stahl- und Bergbaukonzern ist das Touristikunternehmen TUI geworden. Wenig Interesse bestand auch darin, Kapazitäten für den Abbau einheimischer Bodenschätze wie Kohle und Eisenerz zu erhalten: Es war ja auf dem Weltmarkt alles viel billiger zu haben.
Neue Strategie muss her
Das hat sich gründlich geändert. Seit einigen Jahren stöhnt die Industrie über steigende Preise. "Die Rohstoffkosten für Eisenerz sind in den letzten Jahren um 200 Prozent gestiegen", klagt Jürgen Geißinger, Vorstandsvorsitzender des Autozulieferers Schäffler. Die Zulieferindustrie, eine wichtige Branche in Deutschland, sei besonders betroffen. "Wir sind in einer Sandwichposition. Auf der einen Seite die steigenden Preise, auf der andere Seite können wir die Kostensteigerung nicht immer an den Kunden weitergeben. Das ist eine Gefahr für unser Überleben."
Bei bestimmten Rohstoffen wie den Seltenen Erden, die für die Elektronikindustrie wichtig sind, ist die Lage noch angespannter. Hier drohen nicht nur Preissteigerungen, sondern eine wirkliche Knappheit. China kontrolliert den Abbau zu einem überwiegenden Teil, und hat den Export stark reguliert, um zunächst seine eigene Industrie zu versorgen. Inzwischen spricht Deutschland von Rohstoffen als "Interessenpolitik", in den Worten der Kanzlerin: "Wir stehen im Wettbewerb mit Staaten, die eine sehr strategische Planung machen."
Zaghafte Politik
Deutschland hat, so sehen es Vertreter der Industrie und der Regierung, bisher nur zaghaft auf diese Entwicklungen reagiert. Und so schauen die Vertreter der deutschen Industrie inzwischen fast ein bisschen neidisch auf die Länder, die in den letzten Jahrzehnten den Wandel vom Rohstoffproduzenten zum Einkäufer nicht mitgemacht haben. Denn nur China versucht, sich mit viel Kapital und staatlicher Koordination Ressourcen in Afrika, Südostasien und Südamerika zu sichern. Auch Japan und Korea haben schon in den sechziger Jahren staatliche Firmen gegründet, die gezielt im Rohstoffhandel tätig werden, um der heimischen Industrie Zugänge zu sichern - damals ganz gegen den Trend. Einen Hoffnungsschimmer aber gibt es: Nördlich von Leipzig in Sachsen wurde jetzt mit Probebohrungen begonnen. Ihr Ziel: Das einzig bekannte Vorkommen für Seltene Erden in Mitteleuropa.