Neuer EU-Staat?
18. Juni 2010Am 17. Juni wird auf Island gefeiert: Die Straßen der Hauptstadt Reykjavik sind voller Menschen, bunte Ballons werden verkauft. Grund für die Volksfeststimmung ist allerdings nicht die offizielle Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Nein - am 17. Juni feiert das Land seine Unabhängigkeit von Dänemark seit 1944. Vielen Isländern, die ihre Unabhängigkeit lieben, gefällt es nicht, dass die EU-Chefs am gleichen Tag auf dem Gipfel in Brüssel grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen gaben.
Viele Isländer gegen einen EU-Beitritt
Aktuellen Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der Inselbevölkerung gegen einen EU-Beitritt. Knapp 58 Prozent sprachen sich sogar dafür aus, das Beitrittsgesuch zurückzunehmen. Der isländische Botschafter bei der EU, Stéfan Jóhannesson, gibt zu: "Der EU-Beitritt ist ein kontroverses Thema in Island. Die Skeptiker waren in der letzten Zeit sehr lautstark, daran besteht kein Zweifel." Für ihn ist der Beitritt aber ein logischer Schritt: "Wir sind schon sehr integriert in die EU, weil wir sehr viel der Gesetzgebung schon übernommen haben. Von den 35 Kapiteln, die verhandelt werden müssen, haben wir 21 oder 22 schon erledigt." Island ist Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und damit auch Teil des Binnenmarkts.
Trotz der Banken- und Wirtschaftskrise, die Island Ende 2008 an den Rand des Bankrotts gebracht hat, gilt das kleine Land nicht als potenzielle finanzielle Belastung für die EU. Im Gegenteil, sagt Carsten Schymik von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): "Island würde zwar kein sehr großer Nettozahler werden, wäre aber auch nicht von Anfang an auf Transferleistungen der EU angewiesen sein. In ein paar Jahren wird Island die aktuelle Wirtschaftskrise überwunden haben." Im Falle eines EU-Beitritts kann die Union mit einem Land rechnen, das viel erneuerbare Energie und eine strategisch günstige Lage im Nordatlantik mitbringt.
Knackpunkt Euro und Fischereipolitik
Der Knackpunkt der Beitrittsgespräche, die Jóhannesson für Island mit der EU-Kommission führen wird, liegt bei der Fischereipolitik: Kaum ein Land sei so abhängig von der Fischerei wie Island, sagt der Botschafter. "Sie macht zehn Prozent unseres Bruttoinlandprodukts und 40 Prozent unseres Außenhandels aus." Um die gemeinsame Fischereipolitik der EU kommt ein Neumitglied aber wohl nicht herum. "Aber wir müssen kreativ sein und während der Verhandlungen eine Lösung finden, mit der wir und unsere europäischen Partner leben können."
Wirtschaftliche Interessen sprechen langfristig für einen Beitritt. Für Island war die Wirtschaftskrise der Auslöser für eine EU-Bewerbung im Juli 2009. So soll die eigene Wirtschaft und Währung stabilisiert werden.
Realistisch: Beitritt 2013
Wann würde Island also beitreten? In vergleichbaren Fällen wie Norwegen hätten die Verhandlungen rund anderthalb Jahre gedauert, erklärt Carsten Schymik: "Und dann braucht es dann noch einige Zeit für die Ratifizierung eines Beitrittsvertrages. Ein Beitritt wäre realistisch für das Jahr 2013 oder 2014." Diese Ratifizierung in Island wird kompliziert. Für eine solche Verfassungsänderung, wie sie der EU-Beitritt mit sich bringen würde, muss das isländische Parlament erst zustimmen und sich danach auflösen. Nach den Neuwahlen muss das neu gewählte Parlament dann ebenfalls zustimmen.
Außerdem muss vor dem EU-Beitritt eine politisch verbindliche Volksabstimmung abgehalten werden. Hier hofft der isländische Journalist Heimir Már Pétursson, "dass die Menschen nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf abstimmen".
Autorin: Susanne Henn
Redaktion: Julia Kuckelkorn