Neuwahlen in Deutschland: Scholz und Merz eröffnen Wahlkampf
13. November 2024Steuerentlastung, Wirtschaftsförderung, Kindergelderhöhung, der Fortbestand des Deutschland-Tickets - das sind nur vier von rund 100 Gesetzesvorhaben der Bundesregierung, die nach dem Bruch der Ampel-Koalition im Bundestag gestoppt sind. Gestoppt, weil SPD und Grüne nach dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner und dem Ausscheiden der FDP aus der Regierungskoalition keine parlamentarische Mehrheit mehr haben.
In einer Regierungserklärung bestätigte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er nach dem Ampel-Aus den Weg für Neuwahlen freimachen wird. "Deshalb werde ich die Vertrauensfrage am 11. Dezember beantragen, so dass der Bundestag am 16. Dezember darüber entscheiden kann." Wenn Scholz die Vertrauensabstimmung, wie erwartet, verliert, wird anschließend der Bundespräsident das Parlament auflösen. Für die dann erforderlichen Neuwahlen ist der 23. Februar reserviert.
Union aus CDU/CSU will kein "Auswechselspieler" sein
Bis der neu gewählte Bundestag erstmals zusammentritt, bleibt der aktuelle Bundestag allerdings grundsätzlich arbeits- und beschlussfähig. Der Kanzler sieht darin eine Chance. "Wir sollten die Zeit nutzen, die wir jetzt haben und noch ganz wichtige Gesetze miteinander beschließen für die Bürgerinnen und Bürger, die keinen Aufschub dulden, die notwendig sind", appellierte Scholz im Bundestag an die größte Oppositionsfraktion aus CDU und CSU. "Lassen Sie uns zum Wohle des Landes bis zur Neuwahl zusammenarbeiten."
Doch das will die Union so pauschal auf keinen Fall. In scharfen Worten rechnete der Fraktionsvorsitzende und CDU-Chef Friedrich Merz mit Scholz ab. "Wenn Sie noch einzelne Vorhaben ihrer zerbrochenen Regierung mit unserer Hilfe hier zu Ende bringen wollen, dann sagen wir, Sie haben hier von dieser Stelle aus keine Bedingungen zu stellen. Wir sind nicht der Auswechselspieler für ihre auseinandergebrochene Regierung."
Ohne Haushalt für 2025 fehlt es an Geld
Über einzelne Vorhaben könne man reden und Entscheidungen treffen. Aber erst, wenn das Verfahren zur Neuwahl abgeschlossen sei, so Merz, der als Kanzlerkandidat für die Union ins Rennen gehen wird. "Nachdem wir über die Vertrauensfrage entschieden haben, nicht vorher, denn wir vertrauen eben nicht auf Zusagen, die Sie uns vorher geben."
Viel ist es nicht, wofür die Union Unterstützung bietet. "Wir werden eine Änderung des Grundgesetzes mittragen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Stellung in unserem Verfassungsgefüge stärkt", so Merz. Außerdem könne man sich die Wahl eines weiteren oder eines neuen Richters am Bundesverfassungsgericht vorstellen. Doch damit endet die Liste bereits. "Manche Entscheidungen, Herr Bundeskanzler, die Sie vielleicht gerne hätten, die werden objektiv gar nicht möglich sein, da wir in das nächste Jahr ohne einen verabschiedeten Bundeshaushalt gehen."
Wohin steuert Deutschland?
In der Debatte wurde deutlich, dass in den kommenden Wochen zwischen CDU/CSU und SPD ein klarer Richtungswahlkampf zu erwarten ist. Scholz bestätigte noch einmal, dass die Ampel-Koalition am Geld gescheitert sei. SPD und Grüne hatten immer wieder gefordert, die Schuldenbremse zu reformieren und die FDP erfolglos gedrängt, zusätzliche Kredite aufzunehmen.
Die FDP habe darauf beharrt, "äußere, innere, wirtschaftliche und soziale Sicherheit" finanziell gegeneinander auszuspielen, so Scholz. Das habe er nicht zulassen können. "Ich werde die Bürgerinnen und Bürger niemals vor die Wahl stellen: Entweder wir investieren in unsere Sicherheit oder in gute Arbeitsplätze und Wirtschaft und Infrastruktur. Entweder wir geben Geld für die Bundeswehr oder wir haben sichere Renten. Entweder wir unterstützen die Ukraine oder wir investieren in Deutschland."
Union fordert grundlegenden Politikwechsel
Wie CDU und CSU bei einem Wahlsieg mit den Finanzen umgehen würden, darüber ließ sich Friedrich Merz im Bundestag nicht dezidiert aus. Klar ist allerdings, dass eine von ihm geführte Regierung weniger Geld für Soziales ausgeben möchte. Das Bürgergeld, wie die Finanzhilfe für Arbeitslose genannt wird, will er "vom Kopf auf die Beine stellen" und damit ein Herzensprojekt der SPD zurückdrehen.
Gegen den Willen der Grünen richten sich die Vorstellungen der Union in der Energiepolitik. "Wir wollen weg von der einseitigen Festlegung auf Wind- und Sonnenenergie, auf E-Mobilität und Wärmepumpe."
Auch in anderen Politikfeldern sieht Friedrich Merz gehörigen Änderungsbedarf. "Deutschland braucht eine grundlegend andere Politik, vor allem in der Migrationspolitik, in der Außen-, Sicherheits-, und Europapolitik und in der Wirtschaftspolitik", sagte er im Bundestag. Letzteres sei besonders wichtig, vor allem nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA.
"Die richtige Antwort von uns kann doch jetzt nicht lauten, noch mehr Protektionismus und vielleicht noch höhere Zölle auch von unserer Seite aus. Nein, wir müssen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft wiederherzustellen, die Ärmel aufkrempeln, den Arbeitsmarkt wieder in Ordnung bringen und die Steuer- und Abgabenlast für die Haushalte und für die Unternehmen in Deutschland senken."
SPD und Grüne mahnen zur Besonnenheit
Nimmt man die aktuellen Umfragewerte zum Maßstab, dann liegen CDU/CSU deutlich vorne. Bei einem Sieg wären die Unionsparteien allerdings auf eine Koalition angewiesen. Darauf verwiesen der Sozialdemokrat Scholz und die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock . Sie mahnten Besonnenheit bei den bevorstehenden politischen Auseinandersetzungen an. "Mit plumpen Schuldzuweisungen, mit einem Lagerwahlkampf, mit Beschimpfungen werden wir definitiv nicht weiterkommen", so Baerbock.
"Nach der Bundestagswahl werden demokratische Wettbewerber an einem Tisch sitzen und sich in die Augen schauen müssen", betonte Scholz. "Konkurrenten müssen zusammenfinden und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dann zählt nicht Polarisierung, sondern Kooperation und Kompromisse über Parteigrenzen hinweg."
Scharfe Abgrenzung von der AfD
Das weiß auch Merz, der im Vorfeld nur betont hat, dass er sich eine Zusammenarbeit mit der FDP vorstellen könnte. Was für die Union keinesfalls in Frage kommt, ist eine Koalition mit der Linken, dem Bündnis Sahra Wagenknecht und der in Teilen rechtsextremen AfD.
"Weder vorher noch nachher noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gibt es eine Zusammenarbeit meiner Fraktion mit Ihren Leuten, egal mit wie vielen Leuten Sie im nächsten Deutschen Bundestag sitzen werden", sagte Merz an die Adresse der AfD gewandt.