Neuwahlen in Kriegszeiten
26. August 2014Petro Poroschenko hat Wort gehalten. Der ukrainische Präsident löste am späten Montagabend (25.08.2014) das Parlament auf und setzte für den 26. Oktober Neuwahlen an. Genau das hatte er im Präsidentschaftswahlkampf versprochen.
Der Staatschef begründete seine Entscheidung formell mit dem Zerfall der Regierungskoalition. Ende Juli verließen die Partei UDAR (Schlag) des Kiewer Bürgermeisters und Boxweltmeisters Vitali Klitschko und die rechtspopulistische Partei "Swoboda" (Freiheit) die Koalition im Parlament. In einer Fernsehansprache sagte Poroschenko, die Entscheidung sei Teil seines Friedensplans und stehe im Einklang mit dem Willen vieler Ukrainer.
Parlament mit ruiniertem Ruf
Tatsächlich hatte die prowestliche Oppositionsbewegung bereits im Winter Neuwahlen gefordert. "Wir wollen einen kompletten Neustart", hieß es bei Demonstrationen auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit, in Kiew. Einer der Gründe war die Verabschiedung mehrerer Gesetze im Januar, welche die demokratischen Freiheiten stark einschränkten. Sie führten dazu, dass friedliche Proteste in Gewalt umgeschlagen waren. Die Werchowna Rada, wie das Parlament in der Ukraine heißt, wurde im Volksmund in "Werchowna Zrada" unbenannt. "Zrada" bedeutet "Verrat".
Nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch nach Russland Ende Februar wurde das 2012 gewählte Parlament jedoch zum wichtigsten legitimen Staatsorgan. Es wurde eine neue Mehrheit gebildet, die einen neuen Regierungschef und einen Interimspräsidenten gewählt hatte.
Poroschenko-Partei in Umfragen vorn
Laut ukrainischer Verfassung haben das Parlament und die Regierungskoalition mehr Macht als der Präsident. Poroschenko ist daher auf enge Zusammenarbeit mit den Abgeordneten angewiesen, denn er hat keine eigene Partei im jetzigen Parlament. Neuwahlen sollen das ändern, so offenbar seine Hoffnung. Noch ist unklar, wie das der Staatschef umsetzen wird.
Die von Poroschenko 2001 gegründete Partei "Solidarnist" (Solidarität) existierte bis vor kurzem eher auf dem Papier. Umfragen zufolge liegt sie mit bis zu 20 Prozent vorn, profitiert demnach offenbar von der Beliebtheit Poroschenkos. Ein mögliches Wahlbündnis aus "Solidarität", UDAR und der Partei "Die dritte Republik" des früheren Innenministers Juri Luzenko würde ein noch besseres Ergebnis erzielen – über 30 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die vom Kiewer internationalen Institut für Soziologie (KMIS) im Juli durchgeführt wurde.
Noch ist allerdings unklar, ob ein solches Bündnis zustande kommt und wer an der Spitze stehen wird. In Kiew wird darüber spekuliert, dass der jetzige Regierungschef Arseni Jazenjuk die Poroschenko-Partei anführen könnte. Jazenjuk wurde ins Parlament als Abgeordneter der Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland) der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko gewählt. Nun ist Timoschenko aber de facto in der Opposition. Ihre Partei liegt in Umfragen bei rund 10 Prozent und damit auf Platz drei.
Rechtspopulisten auf Platz zwei
Der Hauptkonkurrent der Poroschenko-Partei bei der Parlamentswahl dürfte aber nicht Timoschenko, sondern der Anführer der "Radikalen Partei" Oleh Ljaschko sein. Mit seiner rechtspopulistischen und patriotischen Rhetorik begeistert Ljaschko offenbar immer mehr Ukrainer. Seine Umfragewerte steigen besonders bei jüngeren Wählern und liegen aktuell bei rund 13 Prozent.
Auch die rechtspopulistische Partei "Swoboda" dürfte erneut ins Parlament einziehen. Ihre Beliebtheit sinkt jedoch, so dass sie die 10-Prozent-Marke wie vor zwei Jahren kaum erreichen wird. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich "Swoboda" mit der rechtsextremen Partei "Prawy Sektor" (Der rechte Sektor) verbündet und dadurch mehr Stimmen bekommt.
Keine Kommunisten?
Zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte der Ukraine dürfte es im Parlament keine Kommunisten geben. Die Fraktion der Kommunistischen Partei wurde aufgelöst. Gegen die Partei selbst laufen mehrere Gerichtsverfahren wegen ihrer Haltung in der aktuellen politischen Krise. Ihr wird Hochverrat vorgeworfen, weil sie die russische Annexion der Krim und prorussischen Separatisten in der Ostukraine unterstützt haben soll. Die Kommunisten werden zur Parlamentswahl im Oktober möglicherweise nicht zugelassen.
Auch die prorussische Partei der Regionen, die noch vor wenigen Monaten die stärkste Kraft im Parlament war, muss um den Wiedereinzug in die Rada bangen. Ihre Umfragewerte liegen im unteren einstelligen Bereich. Damit dürfte es im neuen Parlament zum ersten Mal eine proeuropäische Mehrheit geben.
Wahlgesetz als Stolperstein
Doch Hoffnungen vieler Ukrainer auf einen parlamentarischen Neuanfang werden getrübt. Zum einen macht der andauernde Krieg in der Ostukraine die Durchführung von Wahlen in den umkämpften Gebieten unmöglich. Als ein noch größeres Problem wird die Wahlgesetzgebung wahrgenommen. Das alte Wahlgesetz sieht vor, dass Abgeordnete je zur Hälfte über Parteilisten und Direktmandate gewählt werden. Dieses System begünstige Korruption, denn Namen auf den Listen werden nicht veröffentlich, so der Vorwurf vieler Aktivisten. Außerdem dürften von Direktmandaten erneut reiche Geschäftsleute profitieren. Vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise in der Ukraine könnten manche Wähler ihre Stimmen gegen Wahlgeschenke wie Buchweizen oder andere Lebensmittel eintauschen, so die Befürchtung. Früher war das oft der Fall.
Poroschenko rief das aufgelöste Parlament auf, im Herbst ein neues Wahlgesetz zu verabschieden. Der Präsident plädiert für ein Verhältniswahlrecht mit offenen Wahllisten. Ob das gelingt, wird in Kiew bezweifelt.