"Neuwahlen würden nur Tsipras nutzen"
2. August 2015Deutsche Welle: Herr Miliopoulos, schon im Vorfeld der Verhandlungen zwischen Athen und den internationalen Geldgebern über das 3. Rettungspaket meinten viele Kommentatoren, dass diese zum Scheitern verurteilt seien. Bekanntlich wollen die Euro-Staaten ohne den IWF nicht helfen. Der Fond pocht dennoch auf eine Schuldenreduzierung, was aber die europäischen Kreditgeber ihrerseits vehement ablehnen. In den deutschen Medien ist die Rede von einer "Gleichung die nicht gelöst werden kann". Teilen Sie diese Meinung?
Lazaros Miliopoulos: Die Unterschiede zwischen der Meinung des IWF zur Schuldenfrage und der derzeitigen Diskussion der Europäer sind in der Tat sehr groß. Wenn die Bundesregierung jedoch so großen Wert darauf legt, dass der IWF weiter in die Rettungsbemühungen für Griechenland eingebunden ist, werden sich Berlin und die Euro-Staaten auf den IWF zubewegen müssen. Ich gehe davon aus, dass am Ende eine Einigung gefunden wird. Vielleicht einigt man sich auf eine Art Schuldenschnitt "light" mit der Streckung von Rückzahlungsfristen und Zinserleichterungen oder auf einen Schuldenschnitt abhängig vom Wirtschaftswachstum. Denkbar wäre auch, dass die Euro-Partner akzeptieren, dass der IWF seine Zahlungen einstellt, die Rettungspolitik aber dennoch unter Beteiligung der IWF-Expertise fortgeführt wird.
Währenddessen spitzt sich der innerparteiliche Richtungsstreit bei Syriza zu. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras schließt vorgezogene Neuwahlen nicht mehr aus. Wie lange wird er noch in der Lage sein, ohne einen beträchtlichen Teil seiner Abgeordneten zu regieren?
Nicht lange, wenn sich der linke Flügel der Syriza nicht disziplinieren lässt. Und wenn Syriza auseinanderbricht, wären Neuwahlen im Herbst sehr wahrscheinlich. Tsipras hätte nach gegenwärtigem Stand eine reelle Chance, die absolute Mehrheit zu erlangen – oder notfalls erneut mit dem jetzigen Partner, der Anel, eine Koalition einzugehen. Anel scheint trotz aller nationalistischer Rhetorik weiterhin dafür bereit zu stehen, eine Sparpolitik nach den Vorgaben der EU zu unterstützen, solange Tsipras an der Macht ist. Denkbar ist auch, dass Tsipras zusammen mit dem Teil von Syriza, der hinter ihm steht – vielleicht in Form einer neugegründeten Partei – eine neue Mitte-Links-Koalition mit der PASOK und der Partei "To Potami" bildet. Das Thema Neuwahlen wäre damit fürs erste vom Tisch. Gegenwärtig sind aber Neuwahlen doch die wahrscheinlichste Option.
Glauben Sie, dass Neuwahlen ein Ausweg wären? Wäre damit dem Land oder eher Herrn Tsipras und seiner Partei gedient?
Gedient wäre nur Herrn Tsipras. Das Land braucht vieles, vor allem Wirtschaftswachstum und Strukturreformen, nur keine Neuwahlen!
Trotz dieser äußerst schwierigen Lage, ist der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis derjenige, der mit seinem geheimen Grexit-Plan die Schlagzeilen weiterhin dominiert. Jetzt ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft. Was beabsichtigt er?
Entweder geht es ihm um Aufmerksamkeit, das heißt, er hat etwas ausgeplaudert und das war es. Oder er bereitet sich wirklich darauf vor, politisch in Aktion zu treten – als Gegenspieler von Tsipras in der Schulden- und Euro-Frage. Wahrscheinlich trifft ersteres und nicht letzteres zu, aber die Lage ist undurchsichtig. Und wieso sollte es nicht denkbar sein, dass euro-kritische Strömungen Varoufakis am Ende dazu überreden könnten, sich politisch gegen Tsipras zu positionieren? In Griechenland jedenfalls hat Varoufakis viele Anhänger in der Wählerschaft. Solange Varouakis sich selbst nicht im Weg steht, könnte er Tsipras durchaus gefährlich werden.
Der Grexit ist zwar vorerst vom Tisch. Diese andauernde Diskussion darüber, die von Herrn Varoufakis und dem linken Parteiflügel geführt wird, ist aber wenig hilfreich, oder?
Mit der Positionierung des linken Flügels der Syriza einerseits und dem Bekanntwerden der Aktionen von Varoufakis andererseits hat sich erstmals in Griechenland selbst ein relativ geschlossenes und starkes Sprachrohr für einen Grexit herausgebildet. Auf lange Sicht hat eine solche Strömung, zumal sie von links kommt, durchaus Potential, an Bedeutung zu gewinnen. Dann sind aber auch spiegelbildliche Effekte auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu erwarten. Kurzfristig wird Tsipras diese Entwicklungen zwar mit gewisser Wahrscheinlichkeit marginalisieren können, aber auf lange Sicht könnten die euro-kritischen Kräfte durchaus große Anziehungskraft entwickeln, und zwar wenn Tsipras an den strukturellen Herausforderungen im Lande scheitern sollte - was nicht unwahrscheinlich ist. Zudem lässt sich sagen, dass eine Einigung über ein drittes Rettungspaket zwar durchaus möglich ist. Aber solange sich einerseits das griechische Wirtschafts-, Sozial- und Wirtschaftssystem nicht dem Standard des Euro-Raums zumindest annähert und andererseits nicht eine tragfähige Lösung des griechischen Schuldenproblems gefunden wird, wird der Grexit als zentrales Thema wiederauftauchen – und diesmal nicht nur in Berlin, sondern auch in Griechenland.
Lazaros Miliopoulos (39) ist Politikwissenschaftler an der Uni-Bonn. Seine Spezialgebiete sind unter anderem Extremismus- und Parteienforschung, politische Ideologien sowie Europaforschung.