1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

New Orleans kommt nicht zur Ruhe

Julia Elvers-Guyot21. Juni 2006

Vom Wirbelsturm "Katrina" im August 2005 hat sich die Stadt noch lange nicht erholt. Erst die Hälfte der Bewohner ist nach New Orleans zurückgekehrt. Das einzige, was dort schon wieder blüht, ist die Kriminalität.

https://p.dw.com/p/8eOj
Die Nationalgarde soll für Ruhe sorgenBild: AP

Am Wochenende sind fünf Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren bei einer nächtlichen Autofahrt in einem Armenviertel der Stadt erschossen worden. Das Verbrechen gilt als eines der schwersten in New Orleans seit Jahren. Die Polizei vermutet als Tathintergrund die Rivalität von Drogenbanden oder einen Racheakt.

Der gerade in seinem Amt bestätigte Bürgermeister Ray Nagin kündigte an, die Ausgangssperre für Jugendliche zu verschärfen. Geplant ist ein Ausgehverbot ab 23 Uhr, das den ganzen Sommer über gelten soll. Zudem soll die Rekrutierung von Beamten verbessert werden.

Unruhen in New Orleans Polizist
New Orleans Polizeichef Warren RileyBild: AP

Vor kurzem hatte Polizeichef Warren Riley noch versichert, seine knapp 1.500 Beamten seien in der Lage, die Stadt zu sichern. Als Plünderer die verlassene und verwüstete Stadt nach dem Wirbelsturm "Katrina" im August 2005 durchzogen, desertierten Dutzende von Beamten. Zahlreichen Polizisten wurden nach den Einsätzen auch Vorwürfe wegen ihrer Brutalität oder eigener Delikte gemacht.

Nationalgarde soll für Sicherheit sorgen

Die Vergnügungs- und Jazz-Metropole New Orleans litt seit vielen Jahren unter hoher Kriminalität, die nach "Katrina" zunächst zurückgegangen war. Jetzt wächst die Angst, dass sie wieder ansteigen könnte. Angesichts der ausufernden Gewalt hat Nagin die Nationalgarde um Hilfe gebeten. Er sagte, die Nationalgardisten sollten in den Stadtteilen postiert werden, die schwer von Überschwemmungen betroffen seien, damit sich die Polizei auf andere Gebiete konzentrieren könne.

Gouverneurin Blanco, die die Lage in der Stadt als "ernst" bezeichnete, folgte dem Hilferuf von Nagin und ordnete die Entsendung von 250 Uniformierten an, die in den Straßen patrouillieren sollen. Inzwischen sind die ersten Soldaten der US-Nationalgarde in New Orleans eingetroffen.

"Wir werden nicht auf Hurrikan Katrina den Hurrikan der Kriminalität folgen lassen", sagte der Präsident des Stadtrats Oliver Thomas nach dem Mord an den fünf Jugendlichen im Fernsehen. Bürgermeister und Stadtrat kündigten einen "Kriminalitätsgipfel" an, bei dem die Öffentlichkeit Vorschläge zur Verbesserung der Lage beisteuern soll.

Der Kriminologe Peter Scharf in New Orleans kritisiert, dass die Strategie der Stadt unklar bleibe. Eine starke Polizeipräsenz allein reiche nicht aus. Auch bessere Schulen und Drogenbekämpfung seien notwendig. Norris Henderson, dessen Schwester bei einer Parade zum Martin-Luther-King-Tag ins Bein geschossen worden war, kritisierte, dass die Wurzeln der Probleme nicht angepackt würden. Niemand frage sich beispielsweise, wie die Kinder überhaupt an Schusswaffen kommen. "Gewehre sind sehr leicht zu bekommen", sagt Susan Finch, Journalistin der Times-Picayune-Zeitung in New Orleans. "New Orleans ist eine Hafenstadt – es gibt viele Wege, um an eine Waffe zu kommen."

Ein Grund für die Kriminalität: die hohe Armut

Bildgalerie 2 Hurrikan Katrina New Orleans
Katrina machte viele Menschen obdachlosBild: AP

Nach Medienberichten sind in New Orleans seit Anfang des Jahres bereits 52 Menschen getötet worden. Während ein großer Teil der von "Katrina" vertriebenen Einwohner noch nicht zurückgekehrt ist und sich das Leben in der Stadt insgesamt bei weitem noch nicht normalisiert hat, ist die Mordrate wieder auf dem Stand der Zeit vor dem Hurrikan – als New Orleans bei Tötungsdelikten pro Einwohner US-weit den zweiten Platz hinter Camden (Bundesstaat New Jersey) belegte.

Susan Finch von der Times-Picayune macht verschiedene Faktoren für diese Umstände verantwortlich: "Das Schulsystem in New Orleans ist schlecht, es herrscht ein niedriger Bildungsstand. Die Armut ist sehr, sehr hoch, und es gibt nicht viele Möglichkeiten für die Wirtschaft." Arbeitslosigkeit dagegen sei nicht das Problem. "Es gibt viele Jobs, vor allem in Restaurants, aber die Betriebe finden keine Leute, weil diese wiederum keine Wohnungen in New Orleans finden!" 26.000 Häuser seien durch Katrina zerstört worden. Auch das doppelstöckige Haus von Susan Finch wurde stark beschädigt. "Im Erdgeschoss stand das Wasser eineinhalb Meter hoch. Seither lebe ich im 1. Stock und bin immer noch dabei, das Erdgeschoss zu renovieren."

Die Times-Picayune, für die Susan Finch arbeitet, hat nach dem Wirbelsturm ununterbrochen über die Lage berichtet, obwohl die Redaktion wegen des Hochwassers ihre Büros verlassen musste. Für die Berichterstattung erhielt das Blatt den Pulitzer-Preis (s. Artikel unten).

USA schlecht auf Katastrophen vorbereitet

Präsident Bushs Rede in New Orleans
US-Präsident George W. Bush bei seinem Besuch in New Orleans am 15. September 2005Bild: AP

Bei einem Besuch der Südstaatenmetropole hatte US-Präsident George W. Bush im September 2005 eine Untersuchung darüber angeordnet, wie gut die USA auf Katastrophen vorbereitet sind. Das gerade veröffentlichte Ergebnis fiel – nicht nur für New Orleans – schlecht aus: das Heimatschutzministerium kam zu dem Schluss, dass die USA auch fast fünf Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nur unzureichend auf Katastrophen vorbereitet sind. Demnach fehlt es an Warnsystemen, Evakuierungsplänen und Informationen für die Bevölkerung. Ebenso wurde das Fehlen einer klaren Kommandostruktur bemängelt.

Das Ministerium rief zu einer "grundlegenden Modernisierung" der Katastrophenpläne auf. Eine detaillierte Notstandsplanung müsse zur "Priorität der nationalen Sicherheit" werden. Die Notfallpläne bei Naturkatastrophen und Terroranschlägen seien in drei Viertel der US-Bundesstaaten und 90 Prozent der urbanen Zentren unzureichend. Nur 10 Bundesstaaten besäßen akzeptable Katastrophenpläne.