Intensiver Blick, nicht nur für Marilyn
21. Mai 2017Es war das bekannte Luftschacht-Bild aus den 1950er Jahren, das den New Yorker Fotografen Sam Shaw (1912-1999) einem breiten Publikum bekannt und Marilyn Monroe noch berühmter machte. Das Foto wurde millionenfach abgedruckt und zählt damit zu den meistgezeigten Bildern der Welt. Shaw hatte es als PR-Chef inszeniert. Er lud über 200 Pressefotografen ein, um den Film "Das verflixte 7. Jahr" des Regisseurs Billy Wilder zu bewerben. Shaw selbst schoss dann seine Fotoserie.
"Interessanterweise wird man in dem Film dieses komplette Bild als Einstellung jedoch nicht finden. Es gibt eine Szene mit den Beinen und eine mit dem Rumpf, aber nicht mit dem kompletten Körper von Marilyn Monroe", sagt Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie, bei der Präsentation der Retrospektive zum Wirken von Sam Shaw. Vom 21. Mai bis zum 17. September wird sie im Oberhausener Schloss gezeigt. Die Schau trägt den Titel "Finding the Unexpected" und zeigt rund 230 Exponate in Schwarz-Weiß aus sechs Jahrzehnten.
Marilyn Monroe, seine Fahrerin - Sophia Loren, inszeniert als Göttin
Shaw war mit Monroe befreundet, schon lange bevor das Bild entstand. "Sie war am Filmset - vor dem Start der eigenen Filmkarriere - die Fahrerin des Standfotografen Shaw, der keinen Führerschein hatte", erzählt Kuratorin Nina Dunkmann. Doch Shaw nur auf die Bilder von Marilyn Monroe zu reduzieren, wird dem Fotografen nicht gerecht. Das sehen auch die Macher der Ausstellung in Oberhausen so.
"Wir haben in unserer Konzeption einen eigenen Marilyn-Raum gestaltet. Das war auch klar. Doch die Eröffnung der Ausstellung beginnt mit Sophia Loren", erläutert Direktorin Vogt: "Das Konzept sieht vor, eben auch Fotos zu zeigen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Loren bot sich da als Motiv geradezu an." Kuratorin Dunkmann berichtet: "Shaw hat immer unheimlich viel Zeit für seine Bilder aufgewendet. Das hat er auch bei Sophia Loren getan. Er hat sie als Göttin, als erotisches Symbol inszeniert, so dass der Blick des Betrachters über ihren Körper hin zu ihren Gesicht führt. Shaw schafft es fast immer, mit einem Bild Geschichten zu erzählen."
Zugang zu Filmstars - Leidenschaft für weniger berühmte Menschen
Die Schau in Oberhausen zeigt viele Bilder von Filmstars: Marlon Brando im engen T-Thirt, John Wayne im Seitenprofil, Dennis Hopper oder Paul Newman und John Cassevetes mit den Familien. Shaw hatte den Zugang zu den Schauspielern - ungeschminkt und natürlich.
Eng befreundet war er mit Anthony Quinn. Ihm widmete er zahlreiche Bilder bei den Dreharbeiten zu "Alexis Sorbas" auf Kreta wie etwa Quinn beim Brettspiel in der Filmpause. Doch Shaw nutzte die Zeit als Standfotograf am Set auch dazu, für das "Life"-Magazin eine Fotoreportage über das Inselleben in den 1950er Jahren zu kreieren: Gesichter von Bauern, Falten zerfurcht von der Arbeit unter sengender Sonne. "Diese Reportagen für "Life" und "Time", die oft auch als Farbreportagen erschienen, sicherten Shaw neben der Standfotografie für Hollywood gute Einnahmequellen, sagt Christine Vogt.
Diese Sozialreportagen lagen dem Fotokünstler am Herzen. Er begann damit schon in den 1940er Jahren. Die Bilder sind so ausdrucksvoll, dass der Betrachter sofort merkt, welche Stimmung Shaw einfangen wollte. Man erhält realistische Einblicke. Die Mühsal verarmter Gesellschaftsgruppen oder das Leben in gefährlichen Berufen stehen dem Betrachter lebendig vor Augen. Shaw zeigte einen US-Soldaten, der sich auf der elterlichen Farm von seiner Familie verabschiedet, junge Frauen bei der Arbeit in einer US-Panzerfabrik, abgearbeitete Afroamerikanerinnen in heruntergekommen Wohnquartieren und Ölarbeiter rund um die Bohrtürme. Shaw hielt aber auch eindrucksvolle Sportszenen fest, er fotografierte Unfälle oder die Gewalt im Alltag.
Berichte über Rassismus und Randgruppen
Shaw berichtete vom alltäglichen Rassismus in den Südstaaten oder von den Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg. "Er stellte immer den Menschen in den Vordergrund und übte auch Kritik, wie an den Bildern zum Wahlkampf eines rassistischen Politikers in den Südstaaten zu sehen ist", sagt Kuratorin Dunkmann. Das Foto zeigt einen beleibten Polizisten, der vor einer Menschenmenge den Auftritt eines Politikers beschützt.
Früh verschaffte sich Shaw über befreundete Künstlerkollegen Kontakte zur afroamerikanischen Kultur. Ihr widmet er ganze Fotoserien. Es ist das Interesse an der Einfachheit, an Menschen, die am Rande einer Gesellschaft stehen. Solche Bilder hat er auch von seinen Reisen nach Europa mitgebracht. So fotografierte er mehrere Serien von Roma-Frauen in Spanien oder dokumentierte die Armenviertel in Rom und Paris. Paris war ohnehin eine Stadt, die Shaw liebte. Wie Mitglieder seiner Familie einmal mitteilten, hielt er die französische Hauptstadt für die malerischste Stadt der Welt. Als Fotograf in Paris war er bereit, am französischen Leben teilzunehmen und einen intensiven Blick auf das Leben der Menschen dort zu richten. In Oberhausen kann sich der Besucher ein Bild davon machen.