Ngugi wa Thiong'o: "Haben Fehler gemacht"
21. Juni 2018Mit seinem 1964 erschienen Roman "Weep Not, Child" wurde der kenianische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Ngugi wa Thiong'o weltweit bekannt. Er studierte im britischen Leeds und an Ugandas renommiertem Makerere College. Seit 1978 publiziert Thiong'o ausschließlich in seiner Muttersprache Gikuyu - und machte sich mit dieser Entscheidung einen Namen in der internationalen Literaturszene. Seit einigen Jahren wird der 80-jährige Kenianer als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt.
DW: Welche Rolle spielen junge Afrikaner, wenn es darum geht, den Kontinent voranzubringen?
Ngugi wa Thiong'o: Die jungen Leute sind immer die Zukunft eines Landes. Wenn Sie wissen wollen, wie die Zukunft aussehen könnte, schauen Sie sich die Jugend an. Was liest sie, welche Sprache spricht sie, wie verhält sie sich, wie bildet sie sich? Das gibt Aufschluss über die Zukunft eines Landes.
Was sehen Sie, wenn Sie auf die junge Generation Afrikas schauen? Glauben Sie, die Jugend kann etwas bewegen?
Ja, das kann sie. Aber wir, die ältere Generation, haben einen Fehler gemacht. Wir haben sie die Sprachen Europas lernen lassen, als wären es die einzigen, die Wissen und Intelligenz hervorbringen könnten. Das ist falsch. Die Strategie, die ich vertrete, ist einfach: Zuerst kommt die Muttersprache, dann eine weitere afrikanische Sprache, die hilft, sich mit Menschen aus anderen Sprachräumen Afrikas zu verständigen. Erst dann kommen Englisch, Französisch und andere Sprachen. Meine Philosophie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wenn du alle Sprachen der Welt sprichst, aber deine Muttersprache nicht, dann ist das Versklavung. Wenn du deine Muttersprache beherrschst und alle Sprachen der Welt dazulernst, ist das Ermächtigung.
Sie schreiben in Ihrem Essay "Decolonizing the Mind" von einer "linguistischen Belagerung Afrikas". Inwieweit kann Sprache zur Dekolonisation der Gedanken beitragen?
Wenn wir in Afrika nur Englisch und Französisch sprechen, vermittelt das den Eindruck, Wissen käme von außen. Selbst bei afrikanischen Führungskräften ist diese Mentalität zu beobachten. Wenn eine Initiative aus dem Innern eines Landes kommt, herrscht zunächst Argwohn, und alle warten auf eine Bestätigung aus dem Westen. Wir sollten bei uns selbst anfangen, Vertrauen aufbauen, Erfinder, Entdecker und Entwickler fördern. Gold, Diamanten, Kupfer – wir haben die Ressourcen dafür. Aber bisher werden 90 Prozent dieser Ressourcen vom Westen kontrolliert. Afrika, wenn ich das so sagen darf, ist der ewige Spender des Westens.
Wie sehen Sie die Zukunft der Literatur in Afrika?
Ich habe brillant geschriebene Romane von jungen Autoren gelesen. Leider sind alle in europäischen Sprachen geschrieben. Aber die Zukunft afrikanischer Literatur liegt in afrikanischen Sprachen. Sie sind wie ein jungfräuliches Gebiet, das noch nicht entdeckt worden ist und wo uns wunderbare Dinge erwarten.
Also glauben Sie, dass zukünftig mehr afrikanische Literatur in afrikanischen Sprachen geschrieben wird?
Wir werden in afrikanischen Sprachen schreiben, wir werden in afrikanischen Sprachen erfinden, afrikanische Sprachen werden miteinander sprechen. Ich gebe Ihnen ein kurzes Beispiel: Die Geschichte "The Upright Revolution" habe ich auf Gikuyu geschrieben. Junge Leute vom "Pan African Collective" haben die Geschichte in 71 Sprachen übersetzt, davon waren 50 afrikanisch. So schaffen wir es, afrikanische Sprachen dazu zu bringen, sich miteinander auszutauschen. Es ist sehr wichtig, Respekt zu haben vor Sprachen. Das ist der Weg in die Zukunft.
Das Interview führte Mohammed Khelef.