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Von Capricorn Park zur Tour de France

Tom Mustroph
5. Juli 2021

Dlamini war der einzige Schwarze bei dieser Tour de France und der erste schwarze Südafrikaner überhaupt bei dem größten Radrennen der Welt. Trotz seines Ausscheidens schreibt er eine einzigartige Aufsteigergeschichte.

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Der südafrikanische Radprofi Nicholas Dlamini inmitten des Fahrerfeldes
Bild: Christophe Ena/AP/picture alliance

Freud und Leid lagen auf dieser 9. Etappe der Tour de France einmal mehr eng beieinander. Nic Dlamini gab auf dem Teilstück von Cluses nach Tignes einfach alles, doch nach einem Sturz war die Lage für den Südafrikaner vom Team Qhubeka NextHash aussichtslos. Er lag schon vor dem Schlussanstieg weit hinter der zu erreichenden Zeit. Trotzdem weigerte sich Dlamini abzusteigen und fuhr alleine noch den letzten Anstieg hoch. Um 19:01 Uhr Ortszeit kam er im Etappenziel an: mit 62 Minuten Verspätung auf das Zeitlimit und eine ganze Stunde und 37 Minuten nach dem Tagessieger. Auch wenn ihn die Zuschauer für seinen Ehrgeiz feierten, musste sich Dlamini von der Tour de France verabschieden.

Nicholas Dlamini, wie er mit vollem Namen heißt, war ein viel gefragter Mann bei dieser Rundfahrt. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht vor dem Start einer Etappe in der Mixed Journalisten seine Lebensgeschichte erzählen musste. Denn die hat es in sich. Von einem Township in Südafrika schaffte er es zum größten Radrennen der Welt. Kurz danach winkt Olympia.

Dlamini verkörpert trotz seines Ausscheidens die Aufsteigergeschichte dieser Tour de France schlechthin. Der 25-Jährige - im August feiert der Radprofi seinen 26. Geburtstag - war der erste schwarze Südafrikaner bei der Rundfahrt. Er wuchs in einem Township bei Kapstadt auf. "Vielleicht einer von 15 Jungs hatte da ein Fahrrad. Wir haben dann immer Schlange gestanden, um Fahrrad fahren zu können", erinnert er sich im Gespräch mit der DW an die Anfangszeiten. "Einer nimmt es für eine Minute, bringt es dann zurück, und der nächste steigt auf", beschreibt er den Modus, in dem in Capricorn Park, einer der ältesten informellen Siedlungen in der Gegend überhaupt, Rad gefahren wurde.

Bei der Tour de France gehörte ihm nicht nur eines, sondern es waren Minimum gleich zwei Räder die zu seiner Grundausstattung zählen. "Ja, das ist eine besondere Entwicklung. Und um ehrlich zu sein, ich hatte viel Unterstützung, von vielen Leuten. Ich kann ihnen gar nicht genug danken. Das ging auf Klub-Niveau los, dann über das Continental Team in Lucca, von dort zum World Tour Team und jetzt bei Tour de France", staunt er selbst ein wenig über seinen Weg.

Radsport I Tour de France 2021 I Nicholas Dlamini
Nicholas Dlamini (l.) im Fahrerfeld auf der 4. Etappe der Tour 2021Bild: Christophe Ena/AP/picture alliance

Schießereien statt Renncomputer

Vorgezeichnet war dies nicht. Was Dlamini in dem Elendsviertel Capricorn erlebte, war brutal. "Da warst du etwas, wenn du eine Waffe trugst." Er sah Schießereien, Kämpfe mit dem Messer. "Normalerweise läuft man ja weg, wenn man jemanden mit einem Messer oder einer Waffe sieht. Hier bliebst du stehen, du wolltest gucken, wie es weiter ging, wie der andere reagiert", blickt der Radprofi auf seine Kindheit zurück.

Seine Mutter Gloria Nomfundo Zulani schildert er als eine hart arbeitende Frau, die sich allein um ihn und seine Geschwister kümmerte. Sie arbeitete als Haushaltshilfe und musste oft schon früh um 5 Uhr aus dem Haus, um rechtzeitig bei ihrer ersten Arbeitsstelle zu sein. "Sie musste zur Haltestelle der Minibusse laufen. Und weil ich in Sorge um sie war, weil es in den Townships so gefährlich war, begleitete ich sie manchmal", schrieb er im letzten Jahr in einem Beitrag für das britische Onlinemagazin velouk.net.

Blick über das Meer der Baracken des Armenviertels, view over the sea of baracks of the slum area
Eines der zahlreichen Armenviertel rund um KapstadtBild: McPHOTO/blickwinkel/picture alliance

Damals war Dlamini unfreiwillig berühmt geworden. Bei einer Trainingsfahrt in einem Park bei Kapstadt wurde er von einem Park Ranger erst angehalten und dann so brutal attackiert, dass sein Arm brach. "Ich weiß es gar nicht, ob ich damals geschockt war. Ich bin im Township aufgewachsen. Da habe ich schlimmere Dinge gesehen", sagt er jetzt nachdenklich gegenüber der DW. Aber überrascht war Dlamini auf alle Fälle. Denn die Route durch den Park mit einem etwa zehn, elf Minuten langen Anstieg gehörte zum ganz normalen Trainingsprogramm für Dlamini. Oft war er mit anderen Radsportlern da, Weißen meist, und niemals wurde jemand angehalten.

Sportlich hat der Übergriff Dlamini zurückgeworfen. "Ich hatte noch Glück, dass die Saison letztes Jahr wegen Corona so kurz war, da konnte ich mich besser erholen", erzählt er der DW. Internationale Solidarität hat er deswegen aber auch erfahren. Das stärkt ihn. Im Peloton fühlt er sich geschätzt und geachtet. Rassistische Anfeindungen während der Rennen habe er nicht erlebt, sagt er. "Es hängt auch immer davon ab, wer du bist und wie du dich verhältst zu den anderen Leuten im Peloton."

Rassismus im Peloton

Andere Fahrer haben da andere Erfahrungen gemacht. Kevin Reza, ein französischer Sprinter, war im letzten Jahr der einzige schwarze Tour-de-France-Fahrer. Reza beschwerte sich über rassistische Sprüche im Peloton. Er kritisierte auch die mangelnde Unterstützung der "Black Lives Matter"-Bewegung durch den professionellen Radsport. Anders als beim American Football, beim Basketball und zuletzt auch beim europäischen Fußball, als Sportler als Solidaritätsgeste auf die Knie gingen, sieht man das im Radsport nur selten. Im Februar schickte der Giro-d'Italia-Sieger des vergangenen Jahres, Tao Geoghegan Hart, ein Foto von sich in die sozialen Netzwerke, das ihn beim Kniefall zeigte. Der Brite fand indes keine Nachahmer in der Radsport-Szene.

Radsport I Tour de Suisse 2021 I Nicholas Dlamini
Nicholas Dlamini bleibt auch schon auf der 3. Etappe der Tour de France nicht von einem Sturz verschontBild: Jan De Meuleneir/Panoramic International/imago images

"Natürlich, wir müssen mehr tun. Wir müssen genauer hingucken, und wir dürfen Rassismus keinen Platz lassen im Radsport“, betont Dlamini gegenüber der DW, dabei sei es egal ob nun bei der Tour de France oder bei irgendeinem anderen Radrennen. Für die Frankreich-Rundfahrt hatte er sich eigentlich viel vorgenommen. Er wollte es in die Ausreißergruppen schaffen, vor allem in den Bergen. Denn Dlamini ist ein zäher Kletterer. Er holte auch schon das Bergtrikot der Tour Down Under in Australien. Doch sein Sturz auf der 9. Tour-Etappe ließ ihn das Zeitlimit verpassen und setzte seinen Zielen in Frankreich ein jähes Ende.

Radsport, um die Welt zu entdecken

Begonnen hat er mit dem Radsport nach eigenen Worten übrigens, weil er mit dem Rad seinen Bewegungsradius erweitern konnte: "In meiner Jugend war ich noch Läufer, Leichtathlet. Ein Freund erzählte mir eines Tages, was er alles sah, wenn er mit dem Rad unterwegs war. Da war ich fasziniert. Ich merkte dann, dass ich auf diese Weise einfach mehr entdecken kann als mit dem Laufen. Meine Trainingsstrecken waren damals, als ich 14 Jahre alt war, fünf bis zehn Kilometer lang. Mit dem Rad konnte ich aber hundert Kilometer weit kommen und sehr viel von Kapstadt sehen, viele Orte, die ich ohne den Radsport nie kennen gelernt hätte. Das Rad gibt dir jede Menge Bewegungsfreiheit."

Beim südafrikanischen Team Qhubeka NextHash schließt sich da für ihn ein Kreis. Denn der Rennstall macht Werbung für eine Stiftung, die Räder an Kinder verteilt, damit sie die gleiche Erfahrung wie Dlamini machen können: den Bewegungsradius erweitern und mobiler werden. "Ich habe glücklicherweise eine ganze Menge dieser Übergaben von Rädern erlebt. Für die Kids ist das eine Erfahrung, die ihr Leben verändert.

Radsport I Tour de Suisse 2021 I Nicholas Dlamini
Nicholas Dlamini bei der Tour de Suisse 2021: Vorbild für andere Kinder in den Armenvierteln SüdafrikasBild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/picture alliance

Manche von ihnen haben zuvor nicht einmal ein Rad berührt, geschweige denn eines besessen. Aufs Rad zu steigen und damit zu fahren, ist wirklich sehr besonders für sie. Man sieht es ihren Gesichtern an, ihrem Lachen", sagt Dlamini, und unter der Gesichtsmaske, die man wegen der Corona-Pandemie bei der Tour tragen muss, zeichnet sich jetzt auch bei ihm ein Lächeln ab.

Nach seinem unfreiwilligen Abschied von der Tour kommt es für Dlamini jetzt darauf an, die Blessuren gut auszukurieren, denn er gehört zum Aufgebot für das Olympische Straßenrennen in Tokio. Bedauern dürfte er, dass er am Mandela Day, dem 18. Juli, seinem Team nicht bei einem ganz großen Coup helfen kann. An diesem Tag endet in diesem Jahr die Tour de France in Paris, und das südafrikanische Team ist am Mandela Day immer besonders motiviert.