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Nicht der Vietkong

Peter Philipp22. Juli 2003

Die Situation der US-Truppen im Irak ist nicht mit dem Vietnam-Krieg vergleichbar, schreibt Peter Philipp in seinem Kommentar.

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Die Sieger des Irak-Krieges könnten seine Verlierer werden. Diesen Eindruck erwecken jedenfalls immer öfter und immer eindringlicher Medienberichte über die desolate Sicherheitslage der US-Truppen und über die mangelnden Fortschritte bei einer Normalisierung des Alltagslebens im Zweistromland. Wenn dann auch noch der Chef des US-Central Command, General John Abizaid, von einem Guerillakrieg spricht, dann scheint das Szenario komplett: Die USA verstrickt in einem neuen Vietnam. Aus dem sie sich nur mit Hilfe derer retten können, die Washington doch so eindringlich vor diesem Krieg gewarnt hatten.

Solche Reaktion grenzt gelegentlich an Schadenfreude, immer aber schwingt das ebenso nutzlose wie rechthaberische "Hab ich's doch gesagt" mit. Und vor solchem Hintergrund wird dann nur allzu leicht übersehen, dass die Zustände im Irak drei Monate nach dem Fall Bagdads alles andere als schwarz-weiß sind. Zunächst aber, dass sie nicht verglichen werden können mit Vietnam.

Banden, Gruppen und Frustrierte

Natürlich organisieren sich Banden und Gruppen für Anschläge auf amerikanische Soldaten, es ist dies aber längst noch keine landesweite und erst recht keine einheitlich "irakische" Organisation. Neben den sicher agierenden
Anhängern des gestürzten Diktators, die keine Zukunft in einem neuen und demokratischen Irak sehen, gibt es die Frustrierten, die ohne Arbeit und Einkommen sind. Es gibt die Wütenden, die Angehörige verloren haben. Und es gibt sunnitische und schiitische Gruppen, untereinander wieder gespalten und - bisher - unfähig zur Zusammenarbeit.

Das ist nicht der Vietkong, das ist nicht die PLO, auch nicht Hamas, oder die libanesische Hisbollah. Aber die täglichen Angriffe machen den Amerikanern das Leben schwer: Die "Befreier" werden als "Besatzer" beschimpft und für alles verantwortlich gemacht.

Fehlender Realismus

Völkerrechtlich ist die Verantwortung eines Besatzers für die
Einwohner der besetzten Gebiete ungemein groß. Dies hatte man in Washington wohl nicht ausreichend bedacht. So, als könne man das Kapitel der Besatzung einfach überspringen und die Vision eines freien Irak umsetzen. Hätte Washington die Dinge realistischer gesehen, dann hätte es für die Übergangszeit ein Heer von Spezialisten bereitstellen müssen. Kampfeinheiten des Militärs sind dazu nicht geeignet. Schon gar nicht solche, deren Einsatzdauer jedes erwartete Maß übersteigt.

Die Gefahren sind offensichtlich: Genervte US-Soldaten, die sich selbst schützen und dabei "erst schießen und dann fragen", werden den Untergrundkämpfern weiter Zulauf bringen. Nur erkennbare Fortschritte und eine Verbesserung der Lebensbedingungen kann den Radikalen das Wasser abgraben. Die breite Bevölkerung muss davon profitieren und diese Bevölkerung darf auch nicht zum Spielball von
Immer-Noch-Kriegsgegnern gemacht werden: Wie immer man zu dem Krieg stand und steht - man hat ihn nicht verhindern können. Heute geht es darum, die negativen Folgen möglichst rasch zu beseitigen.

Kooperation mit den Vereinten Nationen

Wenn auch nicht ganz freiwillig: Die USA sind heute mehr als bisher zur Kooperation mit anderen Staaten bereit. Selbst mit den Vereinten Nationen. Diese Chance sollte genutzt werden. Nur so kann man den Irakern helfen und eine weitere Eskalation in ihrem Lande zu verhindern versuchen. Schadenfreude gegenüber Washington ist völlig fehl am Platz: Mehr als die Amerikaner werden nämlich die Iraker unter dieser Eskalation zu leiden haben.