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Nicht einen Zentimeter

Stephan Hille14. Dezember 2004

Der Streit mit Japan um vier Inseln wird in Russland sehr ernst genommen. Nach Jahren des Stillstands macht Präsident Putin den Japanern jetzt plötzlich ein Angebot. Das wird in Moskau nicht gern gesehen.

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Stephan Hille

"Keinen Zentimeter Land an Freund oder Feind", grollte kürzlich Dimitri Rogosin. Dem russischen Abgeordneten und Vorsitzenden der nationalistisch angehauchten Partei "Rodina" (Heimat) war der Kamm geschwollen, nachdem Präsident Wladimir Putin einen Testballon in fernöstliche Richtung hatte aufsteigen lassen. Kurz vor einem multinationalen Wirtschaftsgipfel in Chile, auf dem sich Putin und der japanische Premierminister Koizumi treffen sollten, bot Putin den Japanern die Rückgabe von zwei der insgesamt vier umstrittenen Kurilen-Inseln an.

Sowjetische Truppen hatten die zu Japan gehörende Inselgruppe im August 1945 erobert. Japan fordert seit jeher die Rückgabe der ganzen Inselgruppe, und der Streit um die Kurilen hat dazu geführt, dass auch knapp 60 Jahre nach Kriegsende Moskau und Tokio noch immer keinen Friedensvertrag unterschrieben haben.

Kalter Kaffee

In Tokio schmeckte der Kompromiss-Vorschlag wie aufgewärmter kalter Kaffee, schließlich hatte Moskau bereits 1956 dasselbe Angebot gemacht. Die Mehrheit der Russen hingegen hält auch nur den Gedanken an eine Rückgabe von Teilen der Kriegsbeute für absolut unverdaulich und für einen Verrat an der Sowjetarmee, die im Krieg Blut und Leben für die Verteidigung der Heimat gab, diese allerdings auch im Westen wie im Osten territorial vergrößerte.

Putins Angebot, zwei statt vier Inseln, folgt einem einfachen, aber bestechendem Kalkül: Gebietsrückgabe für ein besseres Wirtschaftsklima. Moskau hofft auf japanische Milliardeninvestitionen und den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Ganz oben auf Tokios Wunschliste steht der Bau einer Öl-Pipeline, die von Russlands fernöstlichem Nachodka Japan mit dem schwarzen Gold versorgen soll.

Doch die Kreml-Offerte wurde von Tokio umgehend abgelehnt, für Japan kommt nur die Rückgabe aller vier Inseln in Frage, bevor man einen endgültigen Friedensvertrag unterzeichnen könne. Auch der Versuch Putins, das heimische Publikum auf eine eventuelle Gebietsabtretung mental vorzubereiten, ist gründlich schief gegangen.

Abtretung an China

Bereits im Oktober hatte Putin 337-Quadratkilometer umstrittenes Land im Amur-Grenzfluss überraschend schnell an China abgetreten. Jahrzehntelang hatten die beiden Nuklearmächte um das - wirtschaftlich unbedeutende - Land im Grenzgebiet gerungen und 1969 sogar auf einander geschossen. Um des lieben Klimas und Handels willen, unterschrieb Putin kurzerhand in Peking einen Vertrag, der das Gebiet China zusprach. Die Russen waren, auch weil sie auf diesen Schritt nicht vorbereitet wurden, alles andere als begeistert.

Um so schärfer reagierte die Öffentlichkeit nun auf Putins jüngstes Kurilen-Angebot. "Nicht einen Zentimeter", grollt der Volksmund. Auf der Weltkarte nehmen die Kurilen - vor Japans Haustüre - etwa einen Zentimeter ein. Und genau diesen Zentimeter haben die Russen nun doch verloren: Ausgerechnet in der Duma wurden bis vor kurzem Globusse verkauft, auf denen die Kurilen als japanisches Gebiet angezeigt wurden.

Falscher Globus

Ein Abgeordneter der Heimat-Partei machte die Duma-Parlamentarier auf den Skandal aufmerksam. Die aus russischer Sicht politisch-inkorrekten Erdkugeln sollen inzwischen beschlagnahmt worden sein. Was mit ihnen passiert und wer hinter der falschen Farbe auf einem Zentimeter Erdrund steckt, ist unklar. Noch sind die Duma-Globusse ihrer Zeit voraus, aber vielleicht wurden sie ja in irgendeinem Keller im Kreml eingelagert, für den Fall, dass Moskau doch irgendwann einmal alle vier Inseln zurückgeben sollte.