Wie Spitzenpolitiker Mode einsetzen
15. September 2017Man soll Menschen nicht nach dem Äußeren beurteilen. Aber gilt das auch für Politiker? Kann man ihnen nicht doch ansehen, ob sie geeignet sind, Regierungschef zu werden? Das Aussehen kann täuschen und nichts über die Qualifikationen eines Menschen aussagen. Aber das Unterbewusstsein der Wähler spielt in Wahlkampfzeiten sicherlich eine Rolle.
Attraktive Anführer
Es heißt, John F. Kennedy habe 1960 das Rennen ums Weiße Haus unter anderem auch deswegen gewonnen, weil der braungebrannte Kandidat in einer der ersten TV-Debatten in der Geschichte des Fernsehens einen entspannten, zuversichtlichen Eindruck machte, während sein Kontrahent Richard Nixon nach einem Krankenhausaufenthalt blass wirkte und sichtbar stark schwitzte.
Attraktiven Menschen trauen wir eher zu, gute Anführer zu sein, meint Stanford-Professorin Deborah Rhode in ihrem Buch "The Beauty Bias" ("Die Tendenz zur Schönheit"). Ihren Recherchen zufolge bekommen gutaussehende Politiker - wie damals Kennedy - mehr Stimmen, so Rhode.
Aussehen, Körpersprache, Kleidung
Seitdem Kennedy es auch dank seines jungenhaften Charmes und seines attraktiven Aussehens ins Weiße Haus schaffte, haben US-Politiker damit begonnen, auf Aussehen, Körpersprache und Kleidung zu achten. Bärte sind tabu, Anzüge ein Muss, Krawatten entweder rot oder blau.
Die Vorstellung, dass Kleider Leute machen, war 1975 mit dem Ratgeber "Dress for Success" von John T. Molloy ein für alle Mal in Stein gemeißelt. Es war der Anfang des Powerdressing-Trends.
In den 80er-Jahren kursierte in den USA der Spruch, "Kleide dich für den Job, den du haben willst, nicht für den, den du hast." Erfolgreiche Geschäftsfrauen trugen maskulin-wirkende Kostüme und Hosenanzüge, gern mit Schulterpolstern.
Politikerinnen wählten ihr Outfit mit Bedacht, erklärt Robb Young in seinem Buch "Power Dressing: First Ladies, Women Politicians, and Fashion" (2011). Powerdressing sei besonders faszinierend, wenn man es von drei oft widersprüchlichen Seiten betrachte, schreibt Young: Absicht, Wahrnehmung und Antrieb. "Es kommt darauf an, was Politikerinnen mit ihrem Aussehen ausdrücken wollen, wie das von den Kollegen und der Öffentlichkeit aufgenommen wird und was es auslöst", also ob die Frau an die Macht kommt, an der Macht bleibt und wie sie handelt.
Inszenierte Strickjackenrunde
Auch Joschka Fischer wollte 1982 etwas mit seinem Aussehen ausdrücken: Der Politiker der damals jungen Anti-Establishment-Partei Die Grünen legte den Amtseid zum hessischen Umweltminister in Jeans und weißen Turnschuhen ab. Der Gegensatz zum üblichen Look im Landtag – schwarzer Anzug, weißes Hemd - hätte größer nicht sein können. Geschadet hat ihm der lässige Auftritt in der deutschen Öffentlichkeit nicht: Fischer war von 1998 bis 2005 Vizekanzler und Bundesaußenminister - dann allerdings im klassischen Anzug.
Helmut Kohl trug 1990 bei Gesprächen zur deutschen Einheit mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow in einem Dorf im Kaukasus zwar keine Turnschuhe, aber eine legere dunkelblaue Strickjacke. Heute ist die berühmte Jacke Teil der Sammlung im "Haus der Geschichte" in Bonn.
Keine deutsche Extravaganz
Im normalerweise zugeknöpften deutschen Politikbetrieb waren Fischers Turnschuhe und Kohls Strickjacke eine Ausnahme. Bis dahin hatten deutsche Politiker jahrzehntelang, wie ihre Kollegen in den USA, Anzüge in eher gedeckten Farben getragen, selten wurde die Krawatte gelockert oder das Jackett ausgezogen.
Der Vergleich zwischen deutschen und amerikanischen Politikern hinke sowieso, schrieb die britisch-amerikanische Fashion-Kolumnistin Tina Brown unlängst im "Guardian". Auffällige Kleidung ist nichts für Deutsche: "Nach dem Hitler-Trauma haben sie eine Anti-Charisma-Kultur entwickelt, die der Extravaganz misstraut."
Wahlkampfkleidung: maßgeschneidert oder von der Stange?
Nach Kanzler Gerhard Schröder im feinen Brioni-Zwirn kam mit Angela Merkel 2005 mehr Farbe ins Bundeskanzleramt. Ihr Standard-Outfit: schwarze Hose mit 3-Knopf-Blazer, maßgeschneidert von der Hamburger Designerin Bettina Schoenbach. Mit den vielen Farben der Blazer kreierte die niederländische Grafikdesignerin Noortje van Eekelen einen eigenen Pantone-Farbfächer.
Merkels Look ist zigfach kommentiert worden, von der Mode-Elite gelobt oder verspottet. "Sie sollte wohl etwas weniger Farbe tragen und jemanden finden, der ihr bessere Hosen schneidert", spöttelte Modezar Karl Lagerfeld."Der Schnitt der Hosen ist nicht gut." Wolfgang Joop dagegen erklärte Angela Merkel 2006 zur Muse für seine Herbst-/Winterkollektion, denn ihr Stil sei "inspirierend".
Dennoch ist es schlicht nicht vorstellbar, dass Angela Merkel oder potentielle Nachfolger im Kanzleramt jemals 26.000 Euro für Make-up ausgeben, wie jüngst der französische Präsident Emmanuel Macron. Die Wochenzeitung "Die Zeit" fragte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kürzlich, ob er es nicht ein bisschen "übertreibe mit den billigen Anzügen." Seine Antwort: "Ich möchte so bleiben, wie ich bin. Mit meinen Anzügen von der Stange, mit dem Brillengestell, mit dem Bart." Er habe sein ganzes Leben nicht übermäßig über seine Anzüge nachgedacht. Ist das nun schlicht ehrlich gemeint oder Imagepflege für den "Mann von nebenan" als Kanzler?
Frauen im Fokus, Männer nicht
Ob das Preisschild auf Schulz' Anzügen am Wahltag eine Rolle spielt, wird sich zeigen. Angela Merkel hat die Wahl bereits dreimal gewonnen. Hat ihr äußeres Erscheinungsbild die Wähler beeinflusst? Dazu gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Studien der gemeinnützigen US-Organisation "Name It, Change It" allerdings zeigen: Frauen, die sich für politische Ämter bewerben, haben immer wieder mit Sexismus in den Medien zu tun, und der beeinflusst sehr wohl, wie sie vom Wähler wahrgenommen werden.
Gerade bei Kandidatinnen berichten die Medien verstärkt über das Aussehen, und unterfüttern damit eine unbewusste Voreingenommenheit: Je mehr sich die Berichterstattung auf das Aussehen einer Kandidatin konzentriert, desto stärker sinken ihre Beliebtheitswerte beim Wähler, fand eine Studie 2010 heraus. Dabei spiele es keine Rolle, ob neutral, positiv oder negativ berichtet wurde: Der Wähler empfand die Kandidatin als weniger selbstsicher, weniger effektiv und qualifiziert.
Für männliche Kandidaten galt das nicht. Selbst wenn Äußerlichkeiten erwähnt wurden, hatte das keinen Einfluss auf deren Beliebtheit, egal, ob Barack Obama einen beigefarbenen Sommer-Anzug trug, oder John Kerry in einer Tarnjacke zur Entenjagd erschien. Das ist Stoff zum Nachdenken kurz vor der Abstimmung am 24. September. Drei der sechs Spitzenkandidaten der größeren Parteien, die zur Wahl stehen, sind diesmal Frauen. Da könnte das Aussehen in der Tat Einfluss auf die Wahl haben.