Dämpfer für Merkels CDU
15. Oktober 2017Der Wahlabend bestätigt, was die letzten Umfragen angedeutet hatten: Der sozialdemokratische Regierungschef Stephan Weil hat die zeitweise deutlich in Führung gelegene CDU kurz vor dem Ziel abgefangen.
Allerdings hat die SPD ein solches Erfolgserlebnis auch bitter nötig: Nach drei verlorenen Landtagswahlen in diesem Frühjahr - im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen - und der dann folgenden Niederlage bei der Bundestagswahl im September ist Ministerpräsident Weil nun die Trendwende geglückt. Eine Neuauflage von Rot-Grün ist unwahrscheinlich, weil die Grünen viele Stimmen verloren haben. Die Regierungsbildung dürfte schwierig werden.
Nur SPD und AfD gewinnen
Nach Auszählung aller Stimmen kamen die Sozialdemokraten auf 36,9 Prozent (2013: 32,6) vor der CDU mit 33,6 (36,0) Prozent. Zum ersten Mal seit 2003 sind die Christdemokraten damit nicht mehr die stärkste Kraft in dem Bundesland. Drittstärkste Kraft werden trotz herber Verluste die Grünen mit 8,7 (zuletzt: 13,7) Prozent. Die FDP fällt von 9,9 auf 7,5 Prozent. Die Linke zeigt sich leicht verbessert, verpasst aber mit 4,6 Prozent den Einzug in den niedersächsischen Landtag. Dagegen schafft die AfD mit 6,2 Prozent klar den Sprung ins Parlament, bleibt aber deutlich hinter ihren jüngsten Wahlerfolgen zurück. Damit sind künftig fünf statt bisher vier Parteien im Landtag in Hannover vertreten.
Wahlsieger Weil sprach in seiner ersten Reaktion um kurz nach 18 Uhr von einem "großen Abend für die niedersächsische SPD" und von einer grandiosen Aufholjagd. Vor zwei Monaten habe man in den Umfragen noch zehn Prozentpunkte hinter der CDU gelegen. Auch wenn der amtierende Regierungschef zu diesem frühen Zeitpunkt angesichts der noch etwas unsicheren Zahlen nicht von einem "Wahlergebnis" sprechen wollte, feierte er in der SPD-Zentrale in Hannover den "fulminanten Erfolg" seiner Partei.
SPD-Bundeschef Martin Schulz gratulierte Weil zum Wahlerfolg. "Das ist ein großartiger Sieg für die niedersächsische SPD, ein großartiger Erfolg für Stephan Weil", sagt er. "Stephan, was Du in den letzten Wochen geleistet hast, was die Genossinnen und Genossen in Niedersachsen in den letzten drei Wochen geleistet haben, ist einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland."
Althusmann geht nicht in "Sack und Asche"
CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann gratulierte dem voraussichtlichen Wahlsieger, betonte aber auch für seine eigene Partei: "In Sack und Asche gehen müssen wir überhaupt nicht". Auch wenn die CDU hinter den Sozialdemokraten nur zweitstärkste Kraft geworden sei, trage man "politische Verantwortung für das Land".
Mitte August hatte die CDU in Umfragen noch bei rund 40 Prozent gelegen, ein Erfolg in Niedersachsen galt als sicher. Gründe für die Verluste könnten das schlechte Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl sein, aber auch der Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU, der von SPD und Grünen als Intrige angesehen wird. Zudem sind die Beliebtheitswerte von Weil weitaus höher als die seines Herausforderers Althusmann.
Die Kanzlerin schweigt
Der CDU-Wirtschaftsrat gibt auch der Berliner CDU-Führung unter Kanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld am schlechten Abschneiden der Union in Niedersachsen. "Der Schlüssel für die Niederlage in Hannover liegt leider im Berliner Wahlabend am 24. September, als man die verheerenden Verluste von über acht Prozent zu einem strategischen Sieg schöngeredet hat", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der "Bild"-Zeitung. "Die Wahlverlierer, die am Wahlabend gesagt haben 'Wir haben verstanden', haben heute in Hannover gewonnen. Diejenigen, die erklärten, sie hätten 'alles richtig gemacht', sind diesmal Verlierer."
Die Bundeskanzlerin hat sich bislang weder zur Niedersachsen-Wahl noch zu solch kritischen Tönen geäußert. Erst Montagmittag will sie mit Bernd Althusmann in Berlin vor die Presse treten.
Schlechte Vorzeichen für "Jamaika"?
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin befürchtet, dass die CDU-Pleite bei der Landtagswahl in Niedersachsen auch die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen im Bund erschweren. "Es ist immer schwierig, mit geschwächten Partnern zu verhandeln", sagte der Ex-Bundesumweltminister im ZDF. "Die CDU in Niedersachsen ist heute ungefähr da, wo sie in den 50er-Jahren mal angefangen hat. Das schwächt die Union, und das macht Verhandlungen, macht Sondierungen nicht einfacher, sondern schwieriger", ergänzte er in der ARD. Die "Jamaika-Parteien" nehmen am Mittwoch offiziell Gespräche auf und wollen sich am Freitag erstmals in großer Runde treffen.
Höhere Wahlbeteiligung
Die Landtagswahl 2017 ist bei den Niedersachsen auf etwas größeres Interesse gestoßen als die vorige Wahl vom Januar 2013. Es haben sich 63 bis 64 Prozent der 6,1 Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt. Bei der letzten Landtagswahl hatten knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Die Neuwahl war nötig geworden, nachdem die Grünen-Abgeordnete Twesten Anfang August von den Grünen zur CDU gewechselt war. Die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition verlor damit ihre Ein-Stimmen-Mehrheit. Die Wahl war ursprünglich für Januar 2018 geplant.
rb/qu (afp, dpa, rtr, DW)