Muslimische Friedensdemo kleiner als erwartet
17. Juni 2017Lamya Kaddor hatte sich so viel vorgenommen, sie hatte sich so viel Mühe gegeben. Die liberale Islamwissenschaftlerin hatte in den letzten Tagen "16 Stunden pro Tag" organisiert, Interviews gegeben, die Werbetrommel gerührt. Die muslimische Anti-Terror Demo "Nicht mit uns" sollte unbedingt ein Erfolg werden.
Kaddor, schwarze Haare, bunte Halskette, Sneaker und modische Trainingsjacke, steht auf dem Heumarkt in der Kölner Innenstadt. Gleich soll es losgehen, sie und ihre Mitstreiter wollen ein Zeichen setzen: "Es reicht einfach. Es kann doch nicht sein, dass Islamisten unsere Religion kapern und andauernd Schreckenstaten im Namen des Islams verüben. Diese Attentate können auch Muslime treffen und die Islamverbände kommen einfach nicht aus dem Quark."
Hanife Tosun ist eine von denen, die dem Aufruf Kaddors gefolgt sind. Die 39-jährige Kölnerin, offene Augen, geschlossenes Kopftuch, ist in die Kölner Innenstadt gekommen, um ein Zeichen zu setzen. "Ich bin hierhergekommen, um zu zeigen: Wir stehen zusammen."
"Zusammen stehen" wollen allerdings an diesem Tag offenbar nicht sehr viele Menschen. Die Organisatoren hatten mit einer Teilnehmerzahl von 10.000 Menschen gerechnet, am Ende sind es nur ein paar Hundert Muslime, die in der Kölner Innenstadt zusammenkommen. Bei dem anschließenden Friedensmarsch soll die Zahl noch gestiegen sein.
"Nicht Mit Uns - Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror": Das übergroße Banner prangt über der Rednerbühne am Ende des Heumarkts. Hanife Tosun beschleicht beim Blick auf den halbleeren Platz ein mulmiges Gefühl: "Ich hoffe, dass sich dieses Motto nicht ins Gegenteil verkehrt, weil nicht so viele Menschen teilnehmen. Ich hoffe, dass nicht der Eindruck entsteht, dass Muslime nicht gegen den Terror sind." Allerdings stünde das zu befürchten, schiebt sie noch hinterher, bevor sie sich zu ihren Freunden vor der Bühne aufmacht.
Es ist wahr. Die Veranstaltung kommt nur langsam in Schwung, die Reden auf der Bühne wirken eher bemüht, die starke Polizei- und Medienpräsenz angesichts der wenigen Teilnehmer überdimensioniert.
Semra Kizilkaya weiß nicht so recht, was sie von der Veranstaltung halten soll. Einerseits finde sie es schön, "dass so eine bunt gemischte Gruppe aus Christen, Juden und Muslimen" sich auf den Weg in die Innenstadt gemacht hätten. Auf der anderen Seite sucht auch die 24-jährige Studentin von der Uni Köln nach Antworten, warum sich so wenige Muslime für die Idee einer muslimischen Friedensdemo begeistern konnten:
"Vielleicht ist es für manche Menschen schwierig, die eigene Komfortzone zu verlassen. Ich finde es ja in Ordnung, dass man sagt: 'Ich brauche mich nicht zu distanzieren, ich habe mit Terrorismus nichts zu tun.' Das ist ja richtig. Die allermeisten Muslime haben nichts mit Terrorismus zu tun, aber wir können uns ja trotzdem positionieren."
Kritik an Absage von Ditib
Im Vorfeld der Veranstaltung war viel Werbung gemacht worden, gerade in den Sozialen Netzwerken hatten die Organisatoren stark die Werbetrommel für den Friedensmarsch gerührt.
Für viel Aufregung hatte die Absage der Ditib Mitte der Woche gesorgt. Deutschlands größter Islamverband verfügt über ein riesiges Mobilisierungspotential, betreibt rund 900 Moscheen in der ganzen Republik. Über 800.000 Muslime sind Mitglied im eingetragenen Verein. Eine "muslimische" Anti-Terror Demo würde Muslime selbst stigmatisieren, zudem sei es "am 22. Tag des Ramadan fastenden Muslimen schlichtweg nicht zuzumuten", stundenlang in der prallen Mittagssonne bei 25 Grad zu marschieren und demonstrieren.
Das ließ der Islamverband per E-Mail Journalisten mitteilen. Im politischen Berlin hagelte es daraufhin über Parteigrenzen hinweg Kritik.
"Ich demonstriere, weil ich faste"
Bei ungefähr 20 Grad und wolkenverhangenem Himmel hat Studentin Semra Kizilkaya in der Kölner Innenstadt für diese Begründung überhaupt kein Verständnis: "Für mich ist das Fasten überhaupt kein Grund, nicht zu demonstrieren. Ganz im Gegenteil: Ich demonstriere gerade, weil ich faste. Ich gehöre genau zu der Gruppe, die unter Generalverdacht gestellt wird." Die Studentin findet, dass gerade der Ramadan für derartige Aktionen prädestiniert sei: "Der Ramadan ist ja gerade ein Monat der Gemeinschaft, der Spiritualität, der Solidarität. Deswegen finde ich wichtig, dass man im Ramadan kommt und sagt: 'Nicht mit uns‘."
Für Lamya Kaddor, die Islamwissenschaftlerin und Organisatorin, dürften solche Worte wie Balsam auf die enttäuschte Seele klingen. Der Darstellung der Ditib, dass es an Gesprächen im Vorfeld der Veranstaltung gemangelt habe, widerspricht sie: "Ich bin rechtzeitig auf den Dachverband zugekommen, habe mit einer Person jeden Tag kommuniziert, sowohl telefonisch, wie auch per SMS und E-Mail." Das Verhalten des Ditib-Vorstandes hält sie schlicht "für ein falsches Signal". Sagt es, lässt noch schnell ein Foto von sich machen und muss dann auch gleich wieder los. Der nächste Interviewtermin wartet schon. Und so lässt sich als Fazit eines festhalten: Vielleicht waren an diesem Tag zu wenig Demonstranten in der Kölner Innenstadt. Journalisten waren in jedem Fall genügend da.