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"Niemand kann Nemzow ersetzen"

Samantha Early/stu2. März 2015

Wie geht es nach der Ermordung Boris Nemzows für Russlands Opposition weiter? Der regierungskritische Journalist Andrej Kolesnikow gibt im DW-Interview einen düsteren Ausblick.

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Blumen und ein Plakat erinnern am Tatort an Boris Nemzow
Bild: picture-alliance/dpa/S. Ilnitsky

DW: Was hat die Ermordung Boris Nemzows in Ihnen ausgelöst?

Andrej Kolesnikow: Es war ein bestürzendes Ereignis. Politisch ist es vielleicht eines der schlimmsten Ereignisse der vergangenen Jahre. Alle, de an demokratische Ideale glauben sind verzweifelt. Die Ermordung ist ein schrecklicher Schock für uns alle, denn wir haben jahrelang über das Regime und die Folgen des Hasses und der Aggression in der Gesellschaft gesprochen – und sind wir mit diesen Folgen konfrontiert.

An dem Trauermarsch haben am Sonntag zehntausende Menschen teilgenommen. Was werden die nächsten Schritte der Opposition sein?

Wird die Opposition gestärkt werden? Ich glaube nicht, denn der Marsch war nur eine moralische Reaktion und in keiner Weise eine politische. Es war eine stille und traurige Kundgebung. Es wird also keine politischen Konsequenzen geben. Die Bevölkerung ist mit dem Überleben beschäftigt. Die Leute unterstützen - vielleicht mit bestimmten Einschränkungen, aber trotzdem ist es eine Unterstützung - die Führung und auch Putin. Deshalb haben die Leute auch einigen wichtigen Ereignissen um sie herum keine besondere Beachtung geschenkt. Hier haben wir es mit dem Kernproblem der russischen Gesellschaft zu tun: der Gleichgültigkeit gegenüber solchen Ereignissen.

Wird das Ereignis jene, die nach Wandel rufen, zusammenschweißen oder schwächen?

Niemand hat nach Wandel gerufen. Es war ein Ruf der russischen Opposition – und wir können sie noch nicht einmal Opposition nennen im Sinne von etwas, das System und Struktur hat. Opposition hat im modernen Russland mehr mit Neigungen zu tun, als dass es eine politische Kategorie ist. Die Staatsführung wird nichts verändern und die Opposition kann keine Veränderungen bewirken. Es ist eine sehr traurige Situation, aber das ist die Atmosphäre im modernen Russland.

Wie kann die Opposition effektiver werden?

Die Opposition verharrt in einer Depression, so scheint es mir. Ich glaube nicht, dass sich die Opposition festigen wird. Sie wird es versuchen, aber das ist unmöglich, wenn jegliche Betätigung durch die Staatsführung verhindert wird – und durch Prozesse gegen einige Leute, die an Aktionen der Opposition teilgenommen haben. Die Opposition muss sich Gedanken über ihre Zukunft machen, Programme entwickeln, zivilgesellschaftliche Initiativen. Sie braucht populäre Führer, denn nach dem Tod von Nemzow zeigt sich, dass wir vielleicht nur noch Alexej Nawalny und sonst niemanden haben, der den politischen Kampf führen kann. Aber Nawalny wird von der Staatsführung vollkommen blockiert.

Sehen Sie tatsächlich niemanden sonst, der die Rolle Nemzows einnehmen könnte?

In gewisser Hinsicht kann das niemand, weil Nemzow eine Art Vermittler zwischen der Opposition und der Staatsführung war. Nemzow hatte sehr gute Verbindungen zu vielen Leuten, er war eine Art Verbindungsglied. In dieser Hinsicht kann ihn nicht einmal Nawalny ersetzen. Ich kann nur sagen: Ich weiß nicht, wer ihn ersetzen könnte.

Andrej Kolesnikow gehört zu Russlands bekanntesten regierungskritischen Journalisten. Er ist Vorsitzender der Abteilung "Russische Innenpolitik und Politische Institutionen" am Carnegie Moscow Center, einem regionalen Ableger des US-amerikanischen Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace.

Das Gespräch führte Samantha Early.