Nigeria: Hunger im Öl-Reichtum
26. November 2011Nächste Ausfahrt Maitama Hospital. Keiner der überdimensionalen Geländewagen und der in der Nachmittagssonne glänzenden Limousinen biegt hier ab. Mit rasanter Geschwindigkeit fahren sie am Eingangstor des Maitama Hospitals vorbei. Das Krankenhaus im Zentrum Abujas ist eine staatliche Einrichtung – und jeder, der es sich in der nigerianischen Hauptstadt irgendwie leisten kann, lässt sich lieber in einer der zahlreichen Privatkliniken behandeln.
"Unterernährung keine Seltenheit"
So sind es größtenteils Angehörige der städtischen Mittelschicht, die mit ihren Kindern im Warteraum der Pädiatrischen Station des Maitama Hospitals Platz genommen haben. Auch ein paar Bewohner der umliegenden Slums sind unter ihnen, sofern sie sich die Busfahrt bis zum Krankenhaus leisten konnten. Sie alle warten geduldig darauf, dass Schwester Harriet sie aufruft. Die junge Frau ist für die Aufnahmeuntersuchungen zuständig. Aufnahme-untersuchung, das heißt für Schwester Harriet auch immer: Eventuelle Zeichen von Unter- ernährung bei den jungen Patienten erkennen. "Dazu gehört jedes Mal die Berechnung des sogenannten 'Body Mass Index'. Aber auch andere Symptome wie Schwäche, Müdigkeit, eine veränderte Hautfärbung und so weiter", erklärt die Krankenschwester.
Obwohl das Krankenhaus mitten in Nigerias Hauptstadt liegt – und damit weit weg von den ärmsten Regionen des Landes – kommt es immer wieder vor, dass Schwester Harriet einen klaren Fall von Unternährung diagnostizieren muss. "Das ist nicht so häufig hier wie bei meinen Kollegen in ländlicheren Gebieten, aber vor allem bei Kindern aus den Slums ist es auch keine Seltenheit", so die Krankenschwester.
Ein Problem der Chancengleichheit
Nigeria ist weltweit der fünftgrößte Erdölexporteur – und hat gleichzeitig ein enormes Problem mit unterernährten Kindern. Laut einer UNICEF-Studie sind Mangel- und Unternährung die mit Abstand häufigste Ursache für Kindersterblichkeit im Land. Mehr als 50 Prozent der Todesfälle bei unter Fünfjährigen sind hierauf zurückzuführen - nach Schätzungen mehrere zehntausend Kinder jedes Jahr. Lawan Tahir kann trotz seiner zurückhaltenden Art nicht verbergen, wie wütend ihn diese Zahlen machen. Für den nigerianischen Kinderarzt ist es ein Skandal, dass in einem relativ reichen Land wie Nigeria solche Zustände herrschen: "Es ärgert mich sehr! Was diese Kinder bräuchten, ist verglichen mit dem, was uns als Nation zur Verfügung steht, absolut minimal."
Dem engagierten Mediziner geht es nicht nur um die unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen der Unternährung. Für ihn ist es auch ein Problem gesellschaftlicher Chancengleichheit: "Kinder, die in frühen Jahren einen solchen Stress erleben mussten, werden sich niemals so entwickeln können wir ihre Altersgenossen aus einem besseren Umfeld", so Tahir. Die psychologischen und gesundheitlichen Folgen von kindlicher Unterernährung seien ein Leben lang spürbar, sowohl in der Schule als auch später im Berufsleben.
"Nicht nur schöne Reden halten"
Auch Ignatius Onimawo, der Vorsitzende der "Nutrition Society of Nigeria", kennt all die Probleme. Trotzdem zeigt sich der Berater der nigerianischen Regierung optimistisch: "Wir werden das Hungerproblem lösen! Wir haben gute Programme, die sich den Heraus-forderungen widmen. Und ich sehe auch den politischen Willen im Land." Kinderarzt Lawan Tahir hat diese Reden schon zu oft gehört, um sich davon beschwichtigen zu lassen. "Das Gesundheitssystem ist doch nur ein Beispiel für den generellen Zustand des Landes. Wir müssen dafür einstehen, dass den schönen Worten endlich auch Taten folgen!"
Für Schwester Harriet vom Maitama Hospital sind es oft schon kleine Dinge, die einen großen Unterschied machen. Zum Beispiel sicherstellen zu können, dass immer genug Aufbaunahrung in der Krankenhausapotheke auf Lager ist. Denn sie befürchtet: Das nächste Kind mit Anzeichen von Unternährung lässt bestimmt nicht lange auf sich warten.
Autor: Jan-Philipp Scholz
Redaktion: Matthias von Hein