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Politik

Nigerias Teenager kämpfen gegen die Kinderehe

Katrin Gänsler
11. Oktober 2019

Fast die Hälfte aller Nigerianerinnen werden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet - oft mit deutlich älteren Männern. Drei Teenager aus Lagos wollen das nicht länger hinnehmen und die Kinderehe verbieten lassen.

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Eine Demonstrantin hält einen Zettel mit der Aufschrift "Child Not Bride"
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Alamba

Die Zahl der Unterschriften auf der Online-Plattform change.org steigt täglich. Über 220.000 Menschen haben bereits unterschrieben. Sie wollen es nicht länger hinnehmen, dass Kinder und Jugendliche in Nigeria unter 18 Jahren verheiratet werden dürfen.

Für Susan Ubogu, Kudirat Abiola und Temitayo Asuni sind die Unterschriften bereits ein Erfolg. Die drei Schülerinnen aus der Hafenmetropole Lagos - alle noch minderjährig - haben die Kampagne gestartet. Dafür haben sie im Dezember nach einem Workshop für Schülerinnen spontan die Organisation "It's never your fault" - "Es ist niemals dein Fehler" - gegründet. Neben der Online-Petition haben sie im August bereits ihre erste Konferenz organisiert. Am Weltmädchentag (11. Oktober) wird auch in anderen Ländern auf die Kinderehe aufmerksam gemacht.

Fast die Hälfte aller Mädchen werden vorzeitig verheiratet

Die Vorstellung, im Alter von 14, 15 oder 16 Jahren verheiratet zu werden, findet Susan Ubogu grässlich: "Ich wäre so eingeschränkt in dem, was ich in meinem Leben schaffen will", erzählt sie beim Treffen in einem Café in Lagos und schüttelt den Kopf. Sie hat bereits mit 13 Jahren ihre erste Firma gegründet, ist begeisterte Programmiererin und weiß genau, was sie im Leben machen will. Eine frühe Heirat gehört auf keinen Fall dazu.

Kudirat Abiola und Susan Ubogu, Initiatorinnen der Online-Petition
Kudirat Abiola und Susan Ubogu haben die Online-Kampagne gestartetBild: DW/K. Gänsler

Die ist in Nigeria jedoch für knapp die Hälfte der Mädchen Realität. In Afrikas einwohnerreichstem Land, wo rund 200 Millionen Menschen leben, werden 44 Prozent der Mädchen vor ihrer Volljährigkeit verheiratet, 18 Prozent von ihnen bereits mit 15 Jahren. Nigeria liegt damit weltweit auf Platz elf, schätzt die Nichtregierungsorganisation "Girls Not Brides" mit Sitz in London. Sie geht davon aus, dass weltweit eines von fünf Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet wird. Besonders häufig trifft es Mädchen aus west- und zentralafrikanischen Ländern. Niger führt die Statistik an: Hier sind 76 Prozent aller Mädchen betroffen. Danach folgen die Zentralafrikanische Republik (68 Prozent) und der Tschad (67 Prozent).

Für die hohe Zahl der Kinderehen im Niger gebe es verschiedene Ursachen, sagt Yacouba Hassia Abdoulaye, die in der Hauptstadt Niamey zu Genderfragen und Familienplanung arbeitet. "An erster Stelle steht die Armut. Wenn Mädchen verheiratet werden, dann ist nicht mehr die Familie für sie verantwortlich, sondern der Ehemann." Der Niger belegt auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen den 189. - und damit letzten - Platz. Anders als vermutet, seien die Mütter oft die treibende Kraft hinter den Kinderehen, so Yacouba Hassia Adboulaye. "In unserer Gesellschaft sind sie diejenigen, die für die Versorgung der Familien verantwortlich sind. Deswegen stimmen sie einer frühen Heirat zu." Häufig gelte ein Mädchen als "heiratsfähig", wenn die Regelblutung einsetzt. Auch Tradition und Religion spielen eine Rolle.

Schülerinnen in der Elfenbeinküste
Viele Mädchen in Afrika werden bereits als Kinder und Teenager verheiratetBild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Das Armuts-Argument haben die drei Aktivistinnen aus Lagos oft als Begründung gehört. Die 16-jährige Kudirat Abiola, die später als Diplomatin arbeiten will, lässt es nicht gelten: "Die Kinderehe ist schlecht für unser Land: Die Analphabetenrate ist höher, die Wirtschaft wächst langsamer. Wir haben eine höhere Sterblichkeit von Müttern und Kindern." Von medizinischen Problemen berichtet auch der Gynäkologe Olugbenga Bello, der in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Abuja arbeitet. "Es sind schwierige Entbindungen, weil weder Knochen noch Becken gut entwickelt sind. Gibt es keine Hilfe, dann kann das zu zusätzlichen Komplikationen wie Fisteln führen. Dazu kommt, dass diese Patientinnen oft kein Geld für ein gutes Krankenhaus haben." Auch psychische Probleme können auftreten.

Verfassung steht im Weg

Was den Kampf gegen die Kinderehe in Nigeria jedoch kompliziert macht, ist die  Verfassung: Sie legt kein Mindestalter für die Heirat fest, sieht aber Menschen, die verheiratet sind, als "erwachsen" an. Zwar erklärte der nigerianische "Child's Rights Act" aus dem Jahr 2003 Eheschließungen unter 18 Jahren für ungültig. Doch auch dieser ist bisher nur eingeschränkt gültig. "Die Herausforderung ist das föderale System. Die einzelnen Staaten müssen dem Gesetz zustimmen", sagt Hussaini Abdu, Landesdirektor der Kinderhilfsorganisation Plan International. Bis heute haben elf der 36 Bundesstaaten das Gesetz nicht angenommen. Dort kann sich niemand auf den Child's Rights Act berufen. Es sind vor allem die Bundesstaaten im Norden, in denen die Muslime in der Mehrheit sind.

Hussaini Abdu in seinem Büro
Hussaini Abdu leitet die Hilfsorganisation Plan International in NigeriaBild: DW/K. Gänsler

Als ein Problem des Nordens will Kudirat Abiola die Kinderehe aber nicht abtun. "Zehn Prozent der Ehen werden im Südwesten geschlossen. Und da es um die Verfassung geht, ist unser ganzes Land betroffen." Deswegen wollen die drei weiter Unterschriften sammeln. Je mehr sie haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Anliegen es ins Parlament schafft und eine Verfassungsänderung möglich wird. In den kommenden Wochen wollen die Aktivistinnen deshalb gezielt Politiker ansprechen. Und Susan Ubogu hat sich schon genau überlegt, wie sie diese für ihr Anliegen gewinnt: "Meine Nachricht an die nigerianische Regierung lautet: Stellt euch vor, eure Tochter oder jüngere Schwester wäre eines dieser Mädchen. Sie würde aus der Familie gerissen und einem 70-Jährigen gegeben, der alles Mögliche mit ihr macht. Was würdet ihr tun? Was würdet ihr von eurer Regierung erwarten?"

Kinderehen trotz Verbots