Nobelpreis für einen politischen Dichter
8. Oktober 2010Der spät berufene Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist eigentlich ein Frühstarter der Literatur. Gerade einmal 26 Jahre war er alt, als er mit "Die Stadt und die Hunde" seinen ersten Roman veröffentlichte – eine Abrechnung mit den besseren Kreisen Limas - was prompt einen Skandal auslöste. Denn schließlich entstammt Llosa, geboren am 28. März 1936 in Peru, selbst einer großbürgerlichen Familie. Schon sein Vater arbeitete als Rundfunkjournalist. Der Sohn schrieb später ebenfalls zunächst für verschiedene Zeitungen und für "Radio Panamerica" in Lima, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Dabei trieb den peruanischen Autor von Anfang an sein politisches Engagement.
Erst Kommunist, dann humaner Neo-Liberalist
Wie viele andere lateinamerikanische Intellektuelle seiner Generation gehörte auch der junge Llosa zunächst zu den glühenden Anhängern der Revolution unter Fidel Castro. Das änderte sich schlagartig nach der "Padilla-Affäre" 1971, als ein bekannter kubanischer Autor zur Selbstbezichtigung gezwungen wurde. Seitdem war Llosa jede Form von Polit-Fanatismus suspekt, egal ob von links oder von rechts. "Ich liebe die Freiheit", erklärte er seine Haltung kürzlich gegenüber der argentinischen Tageszeitung "La Nacion". Deshalb greife er Diktatoren an, "auch wenn sie Linke sind wie Castro oder Chavez. Aber bin ich darum ein Rechter? Nur weil ich die Linken kritisiere und nicht schlucke, was diese oft zu schlucken bereit sind, bis hin zu Nationalismus und Rassismus?"
Entscheidung mit politischer Signalwirkung?!
Llosa ist ein leidenschaftlicher Autor, der die südamerikanischen Bürger in seinen zahlreichen Essays, Romanen und Büchern immer wieder aufs Neue eindringlich warnt, charismatische Politiker nicht allzu bereitwillig zu Volksrettern hochzujubeln und sie mit Machtbefugnissen auszustatten, die aus ihnen manchmal schnell unheilvolle Diktatoren machen. Der 74-jährige Autor hingegen misstraut den großen Utopien des Kommunismus, des Sozialismus und des entfesselten Turbo-Kapitalismus. Und höchstwahrscheinlich war es gerade diese skeptische, humanistisch-konservative Haltung, welche die Entscheidung der Juroren in Stockholm maßgeblich beeinflusst hat.
Zumindest bleibt das Nobelpreis-Komitee mit seiner Wahl Llosas seiner Linie treu, nicht nur literarisch hochrangige, sondern auch gesellschaftskritische Schriftsteller auszuzeichnen. Präsentierte man im letzten Jahr mit Herta Müller bereits eine Preisträgerin, die in ihren Werken an das Opferschicksal der deutschen Minderheit im heutigen Rumänien erinnert, ehrte man zuvor den regimekritischen türkischen Autor Orhan Pamuk (2006), die österreichische Kapitalismus-Gegnerin Elfriede Jelinek (2004), den Ausschwitz-Überlebenden Imre Kertesz (2002) und den chinesischen Dissidenten Gao Xingjian (2000). Alles Autoren-Entscheidungen, die man auch als politische Fingerzeige werten konnte.
Feind-Freundschaft zu García Márquez
Spätestens seit Llosa 1990 in Peru erfolglos für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte, gilt er nicht nur als Literatur-Instanz, sondern auch als mächtige Stimme eines gemäßigten Neoliberalismus auf einem Kontinent, den ansonsten Sozialismus-Propheten beherrschen. Dadurch kühlte sich auch das zunächst kollegiale Verhältnis zu einem anderen Literaturnobelpreisträger Lateinamerikas deutlich ab, dem Kolumbianer Gabriel García Márquez. Dabei verbindet beide eigentlich eine ähnliche literarische Philosophie und Karriere. Wie Márquez fühlte sich auch Vargas Llosa als Autor früh dem Konzept des "magischen Realismus" verpflichtet, der den Leser zu einer "höheren" Wahrheit führen wollte, indem er Realität und Fantasie ganz bewusst miteinander vermischte. "Romane zu schreiben", beschrieb Llosa selbst einmal sein Konzept, "ist ein Aufstand gegen die Wirklichkeit und gegen Gott", doch der Roman solle gleichzeitig "bis an den Hals in das Leben der Straße, in die Erfahrung der Allgemeinheit eintauchen" – und so zu einem Spiegel der Zeitgeschichte werden.
Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Manfred Götzke