Nobelpreis stärkt auch Irans Reformbewegung
10. Oktober 2003Papst Johannes Paul II. war im Gespräch, Vaclav Havel und eine Menge anderer Kandidaten. Und dann überrascht das Nobelkomitee mit einer Frau, die überhaupt nicht zu den Favoriten gehört hatte: Shirin Ebadi, Anwältin aus dem Iran.
Kaum jemand im Westen kannte bisher diese Frau. Aber unstrittig ist: Die 54-Jährige hat diesen Preis verdient. Nicht nur, weil sie sich als Muslima in einem streng islamistisch regierten Land unermüdlich und gewaltfrei für Frauen- und Menschenrechte, für Kinder und politisch Verfolgte einsetzt - und dafür mehrfach inhaftiert worden ist. Das Nobelkomitee setzt mit seiner Entscheidung auch ein wichtiges Signal für den Dialog zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Und: Es räumt mit falschen Vorstellungen auf.
Unterdrückt, aber nicht machtlos
Shirin Ebadi ist überzeugte Muslima - und damit lebendiges Beispiel dafür, dass elementare Menschenrechte keineswegs in einem grundsätzlichen Gegensatz zum Islam stehen. Sie stehen lediglich im Gegensatz zur herrschenden Glaubensauslegung politisch-religiöser Hardliner im Iran und in einigen anderen islamischen Ländern.
Mit der Vergabe des Preises an die Menschen- und Frauenrechtlerin tritt das Nobelkomitee aber auch Vorurteilen entgegen, die häufig im Westen gepflegt werden. Es stimmt, Shirin Ebadi ist oft genug unterdrückt worden. Das mag "typisch islamisch" erscheinen. Aber sie ist keine machtlose Frau. Sie ist vielmehr ein (und keineswegs das einzige) Beispiel dafür, dass auch der Islam mutige Reformer - und eben auch Reformerinnen - hervorbringen kann. Ebadi ist, wie es in der Begründung zu Recht heißt, "eine Frau, die Teil der muslimischen Welt ist - und die auf diese Welt stolz sein kann."
Erfolg nach diversen Rückschlägen
Und noch ein weiterer Aspekt ist wichtig: Mit dem Preis wird - vor den herannahenden Parlamentswahlen im Frühjahr - auch die Reformbewegung in Ebadis Heimatland gestärkt. Diese Reformbewegung wird von der Mehrheit der Iraner unterstützt, musste aber immer wieder herbe Rückschläge einstecken, weil der mächtige Wächterrat und andere konservative Regierungs-Institutionen jede Form der Erneuerung blockierten - so etwa im August 2003 die bereits vom iranischen Parlament unterzeichnete UN-Konvention zur Abschaffung der Diskriminierung von Frauen. Es war Shirin Ebadi, die auch nach dieser bitteren Niederlage vor die Presse trat und eindringlich erklärte: Der Islam werde hier nur als Vorwand benutzt, um eine andauernde Herrschaft des Mannes über die Frau zu rechtfertigen.
In einem patriarchalisch geprägten Land wie dem Iran erfordert dies viel Mut. Und auch für diesen Mut wurde sie nun ausgezeichnet.