Noch 202 Jahre bis zur Gleichberechtigung?
18. Dezember 2018Sie werden nicht gefördert, schlechter bezahlt und teilweise sogar ausgebremst. Weltweit kämpfen viele Frauen und Männer für mehr Gleichberechtigung und haben auch einige Erfolge erzielt. Allerdings hat sich in jüngster Zeit nicht mehr viel getan. Weltweit stagniere die Gleichberechtigung, in einigen Bereichen wachse die Kluft sogar wieder, warnte das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seinem "Global Gender Gap Report 2018".
Das WEF analysiert seit 2006 jedes Jahr wie es um die Gleichberechtigung der Frauen steht. Angeschaut werden die Bereiche Wirtschaft - etwa Gehälter und Chancen auf
Führungspositionen -, Zugang zu Bildung, politische Mitwirkungsmöglichkeiten und Gesundheit, etwa die Lebenserwartung, in 149 Ländern.
Island: Spitzenreiter bei der Gleichberechtigung
Nach der neuesten Studie rutschte Deutschland insgesamt im jährlichen Gleichberechtigungs-Index um zwei Plätze auf Rang 14 ab. Damit sind knapp 78 Prozent der Geschlechterkluft hierzulande geschlossen. Noch schlechter sieht es in der Schweiz aus – sie belegt Rang 20 und Österreich landet sogar nur auf Rang 53. Zum Vergleich: Beim Spitzenreiter Island ist die Geschlechterlücke um 85 Prozent geschlossen und damit ist das Land im zehnten Jahr in Folge führend im Index.
Ganz vorbildlich beim Schließen der Geschlechterlücke sind nordische Länder wie Norwegen (Rang 2), Schweden (3) und Finnland (4). Nicaragua konnte den 5. Platz erobern und Ruanda den 6. Unter den G20-Ländern nimmt Frankreich mit Rang 12 erneut den Spitzenplatz ein. Gefolgt wird es von Deutschland (Rang 14), Großbritannien (15), Kanada (16) und Südafrika (19). Die USA rutschen um zwei Plätze ab auf Position 51.
Gleichberechtigung erleben jetzt lebende Frauen wohl nicht mehr
So unbefriedigend das Ergebnis klingt - 2017 war es noch schlechter. Das vergangene Jahr war das erste, in dem sich die Kluft zwischen Frauen und Männern wieder vergrößerte.
Es bleibt viel zu tun: Wenn es nämlich in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergeht, wird es noch 202 Jahre dauern, bis Männer und Frauen am Arbeitsplatz gleichgestellt sind. Betrachtet man alle Ebenen, wird es noch 108 Jahre dauern, bis die Kluft zwischen den Geschlechtern geschlossen ist.
Geringe Verbesserung am Arbeitsplatz
Schaut man sich die wirtschaftliche Kluft zwischen den Geschlechtern an, so sieht es nicht ganz düster aus. Sie hat sich 2018 leicht geschlossen. Die Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass Männer nicht mehr ganz so viel mehr verdienen als Frauen. 2018 lag die Einkommenslücke bei knapp 51 Prozent. Außerdem gibt es mehr Frauen in Führungspositionen (weltweit 34 Prozent).
Zu dem Ergebnis trägt aber auch bei, dass der Frauenanteil an der weltweiten Erwerbsbevölkerung zurückgegangen ist. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass sich die Automatisierung unverhältnismäßig stark auf Bereiche auswirkt, die traditionell von Frauen besetzt waren. Gleichzeitig sind Frauen in wachsenden Beschäftigungsfeldern, die MINT-Fähigkeiten und -Wissen erfordern, unterrepräsentiert.
Weitere mögliche Gründe sind, dass die Infrastruktur wie Kinder- und Altenbetreuung, die zur (Wieder-)Eingliederung von Frauen in den Beschäftigungsmarkt benötigt wird, immer noch unterentwickelt ist, und unbezahlte Arbeit nach wie vor vor allem von Frauen erledigt wird.
Frauen sind wichtige Bausteine für die Wirtschaft
Dabei sind Frauen in der Wirtschaft wichtig: "Die Volkswirtschaften, die in der Vierten Industriellen Revolution Bestand haben werden, sind die, die sämtliche verfügbaren Talente am Besten zu nutzen verstehen," prognostiziert Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums.
Dass es weniger Frauen in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gibt, ist bereits lange bekannt. Noch prägnanter ist die Situation bei den Fachkräften für Künstliche Intelligenz (KI) - so eine in Zusammenarbeit mit LinkedIn durchgeführte Analyse. In diesem Bereich sind nur 22 Prozent der Fachkräfte weiblich.
"Die Industrie muss sich durch Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und konkrete Möglichkeiten für einen Stellenwechsel um die Gleichstellung von Frauen in der künftigen Arbeitswelt bemühen", sagt Saadia Zahidi, Vorstandsmitglied des Weltwirtschaftsforums. "Das ist in ihrem eigenen langfristigen Interesse, denn paritätisch besetzte Unternehmen erzielen nachweislich bessere Leistungen."
Düstere Aussichten in den anderen Bereichen
Weltweit verschlechtert hat sich für Frauen der Zugang zu Gesundheit, Bildung und Politik. Bei der politischen Mitwirkung sieht die Lage der Frauen sogar von Jahr zu Jahr düsterer aus. Auch wenn Angela Merkel oder Theresa May wichtige Rollen spielen - insgesamt besetzten 2018 nur wenige Frauen staatliche Führungspositionen. Die Ungleichheit besteht aber nicht in allen Ländern gleich. In 22 "westlichen" Volkswirtschaften verbesserten sich die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen.