Nomaden - die ersten Opfer des Klimawandels
5. März 2014In den äthiopischen Regionen Borana und Somali ziehen Nomaden seit Jahrhunderten mit ihren Herden von einem kargen Weide-Areal zum nächsten. Ihre traditionelle Lebensform ist angepasst an den Wechsel von Trocken- und Regenzeiten, an Überfluss und Dürre. Sie brauchen keine Langzeitstudien und keine Temperaturtabellen, für sie ist der Klimawandel längst Realität, wie es zuletzt eine Studie der Hilfsorganisatio CARE von diesem Jahr feststellte. Früher habe es alle sechs bis zehn Jahre eine Dürre gegeben, berichten darin die äthiopischen Hirten, inzwischen käme sie fast jährlich. Die Nomaden haben so keine Zeit, sich von einer Dürreperiode zu erholen. Das Wasser ist knapp und muss über weitere Strecken herangeschafft werden. Der ausgetrocknete Boden errodiert deutlich schneller, das Vieh ist anfälliger für Krankheiten, es gibt weniger Nachwuchs, das ohnehin schmale Einkommen sinkt – die Nomaden verlieren ihre Existenzgrundlage.
40 Millionen Betroffene
Extreme Wetterschwankungen, Dürren, Fluten, Stürme, steigende Temperaturen und das stetige Vordringen der Wüste bedrohen Millionen von Nomaden in Äthiopien oder im Niger, in Mauretainen, Kenia oder dem Sudan. "In Somalia beispielsweise geht die Mehrheit der Bevölkerung dieser Wirtschaftsform nach", sagt Günther Schlee vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale, einer der renommiertesten Nomaden-Forscher Deutschlands. Seiner Schätzung gibt es noch etwa 40 Millionen nomadische Viehzüchter auf der Welt.
Es sind aber nicht nur die Viehhirten Afrikas, die direkt unter den Veränderungen in der Natur zu leiden haben. Mildere Winter mit mehr Niederschläge stellen etwa die Rentierhirten in Nord-Finnland und Russland vor enorme Probleme: Aus früher tiefgefrorenem Boden wird Sumpf, Tiere und Hirten versinken im Matsch. Die Vegetation ändert sich, Routen und Zeiten für Wanderbewegungen geraten durcheinander, weil Flüsse später zufrieren oder früher auftauen.
Der verheerende Dzud
In der Mongolei leben 2,7 Millionen Menschen von der Viehzucht – fast die Hälfte der Bevölkerung. Etwa ein Drittel sind Nomaden, die mit ihren Tieren durchs Land ziehen. Das zentralasiatische Steppenland ist aber auch besonders hart vom Klimawandel betroffen. „Dzud“ sagen die Mongolen dazu: Der Wechsel von Dürre im Sommer zu eisigen Winter. Im letzten Winter haben selbst für mongolische Verhältnisse extreme Kälte und heftiger Schneefall die Nomaden in Existenznot gestürzt. Bei Minus 40 Grad erfroren nach Informationen des Rotes Kreuzes 4,5 Millionen Ziegen, Schafe, Kamele und Pferde, zehntausende Nomaden verloren ihre Lebensgrundlage.
Sei es nun in Äthiopien, Finnland oder der Mongolei, die Nomaden brauchen Ideen, wie sie sich an die veränderten klimatischen Bedingungen anpassen können. In der Mongolei können dies die Möglichkeiten zur mobilen Stromgewinnung sein, in den von Dürre bedrohten Regionen verstärkte Maßnahmen zu Wasserspeicherung und -gewinnung, also etwa der Bau von Brunnen und Zisternen. Vor allem geht es aber darum, das zu ändern, was mittelfristig zu ändern ist – also die sozialen und politischen Rahmenbedingungen, "denn die Probleme der Nomaden kommen ja keineswegs nur vom Klimawandel", meint der Ethnologe Schlee. Noch viel schlimmer als der Klimawandel trifft die Nomaden häufig eine einseitige Politik zu Gunsten sesshafter Wirtschaftsformen, Bevölkerungswachstum und die immer weniger werdenden frei zugänglichen Weideflächen.
Klimakrieg Noamden gegen Sesshafte?
Der Sozialpsychologe Robert Welzer sieht in den gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels "die größte Herausforderung der Moderne". In seinem Buch "Klimakriege" listet er weltweit 70 Konflikte auf, die sich durch den Klimawandel zu verschärfen drohen. Der Bürgerkrieg im Sudan, an dem außer den Regierungstruppen rund 20 Milizen beteiligt sind, spielt sich zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Viehzüchtern ab. Für Welzer ist dies der erste "Klimakrieg".
Konflikte zwischen Sesshaften und Nomaden sind aber so alt wie die Menschheit selbst. Nomadenforscher Schlee glaubt deswegen keineswegs, dass durch den Klimawandel das Sterbeglöckchen für die nomadische Lebensform läutet - im Gegenteil: Neue, mobile Techniken wie das Handy würden den Nomaden das Leben eigentlich einfacher machen. "Es gibt eigentlich immer weniger Argumente dafür, sesshaft zu sein", sagte Schlee. Nomadentum sehe man schließlich ja auch zunehmend in den industrialisierten Ländern: "Die meisten Konzerne werden doch heute von Nomaden geleitet, die von Land zu Land, von Hotelzimmer zu Hotelzimmer ziehen."
Autor: Oliver Samson
Redaktion: Klaus Esterluß