"Diese Iran-Politik bedeutet Krieg"
24. Juli 2018Deutsche Welle: Für wie gefährlich halten Sie den jüngsten Schlagabtausch auf Twitter zwischen Teheran und Washington?
Omid Nouripour: Die Twittereskalation ist nur ein Symptom sehr bedenklicher Tendenzen der US-amerikanischen Iranpolitik. Nicht zuletzt durch den wachsenden Einfluss der Volksmudschaheddin, einer autoritären, gewaltsamen und bei den Iranerinnen und Iranern weitgehend verhassten Oppositionsgruppe, hat die Idee eines Regimewechsels von außen in Washington Fuß gefasst. Diese Politik bedeutet in letzter Konsequenz Krieg. Dass ein solcher Krieg eine menschliche und politische Katastrophe globalen Ausmaßes wäre, haben die letzten Tweets deutlich gemacht.
Gerade mal zweieinhalb Monate nach dem Ausstritt der USA aus dem Atomabkommen hat sich die wirtschaftliche Lage im Iran massiv verschlechtert: Währungsverfall, Inflation, Stromausfälle. Proteste sind an der Tagesordnung, selbst der Bazar in Teheran hatte aus Protest mehrere Tage geschlossen. Wie gefährlich ist das für das politische Establishment in Teheran und wer profitiert davon?
Die Proteste im Iran begannen schon lange vor dem US-Ausstieg aus dem Deal und richten sich allgemein gegen die wirtschaftliche und politische Lage im Land. Es geht um Korruption, Misswirtschaft und die wachsende soziale Ungleichheit - ganz abgesehen von der immer noch verheerenden Lage von Freiheiten und Menschenrechten. Das hat die Profiteure dieser Praktiken unter Druck gesetzt. Durch die Sanktionen wird aber genau das Gegenteil dessen erreicht, was sich die Falken in Washington wünschen: Die verschiedenen Lager innerhalb des iranischen Regimes werden zusammengeschweißt - und die korrupten Teile der Regierung werden wieder die größten Profiteure der Schmuggelwirtschaft sein.
Welchen Einfluss hat Deutschland, hat Europa überhaupt noch zwischen Washingtons Ambitionen, das Regime zu wechseln und dem Überlebenswillen der politischen Klasse im Iran?
Europa hat potenziell einen großen Einfluss. Wir sind als Akteur im Iran glaubwürdiger als die USA mit ihren wiederholten Einmischungen im Land in den letzten Jahrzehnten. Und wir sind ein erheblicher wirtschaftlicher Faktor. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, muss Europa aber jetzt ernst machen. Wir müssen Instrumente entwickeln, um uns von den Auswirkungen der US-Sanktionen unabhängiger zu machen. Dann haben wir die Chance auf eine eigenständige Politik im Iran und anderswo.
Welche realistischen Möglichkeiten hat Deutschland, haben die europäischen Vertragsstaaten zum Atomabkommen, um dem Iran trotz des massiven Drucks von US-Sekundärsanktionen ausreichend wirtschaftliche Anreize zum Verbleib im Atomdeal zu bieten?
Die Schaffung dieser Anreize ist eine große Herausforderung. Zentraler Punkt sind die Ölexporte des Landes. Europa muss Instrumente schaffen, wie diese Lieferungen weiterhin abgewickelt werden können. Es geht aber auch darum, weitere wirtschaftliche Anreize zu schaffen: eine enge Kooperation und Investitionen im Wassersektor, der im Iran kurz vor dem Zusammenbruch steht, könnten ein wichtiges Argument für den Verbleib sein.
Wie eng ist die Abstimmung mit den anderen im Atomabkommen verbliebenen Vertragspartnern Russland und China in dieser Frage?
Europa wird mit China und Russland gleichsam in eine diplomatische Zwangsehe gedrängt, um das Abkommen zu retten. Die Abstimmung zwischen Brüssel, Moskau und Beijing ist gut. Für das transatlantische Verhältnis bedeutet das eine ernsthafte Krise. Denn die amerikanische Regierung gefährdet mit ihrer Politik direkt die europäische Sicherheit. Das spricht nicht für ihr Vertrauen in die transatlantische Partnerschaft.
Omid Nouripour wurde in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren und kam als 13-jähriger nach Deutschland. Nouripour ist seit 2006 Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Die Fragen stellte Matthias von Hein.