"Iran hält Deutsche als politische Geiseln"
8. November 2020Die deutsch-iranische Architektin und Menschenrechtsaktivistin Nahid Taghavi wurde im Oktober 2020 in ihrer Wohnung in Teheran festgenommen. Die iranischen Behörden beschuldigen sie der "Gefährdung der Sicherheit". Eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) an die Bundesregierung ergab, dass sich vier weitere Bundesbürger in iranischer Haft befinden. Nouripours Anfrage hatte sich ausschließlich auf Personen bezogen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind.
DW: Herr Nouripour, der Iran hat mit Nahid Taghavi erneut eine deutsche Staatsbürgerin verhaftet. Insgesamt befinden sich offenbar fünf deutsche Staatsbürger im Iran in politisch motivierter Haft. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Omid Nouripour: Die Bundesrepublik Deutschland steht offenbar zunehmend im Fadenkreuz des Iran. Der Staat hält politische Geiseln als Faustpfand, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben. So wie es die iranische Staatsführung schon vielfach mit Doppelstaatlern und Doppelstaatlerinnen aus anderen Ländern tut.
Was bezweckt der Iran damit?
Darüber kann man nur spekulieren. Verschiedene Gründe sind denkbar. Der Iran könnte versuchen, politische Gefangene gegen hier einsitzende Agenten auszutauschen. Es könnte auch darum gehen, das Atomabkommen zu sabotieren. Insbesondere die Hardliner im Iran, die eben auch die iranische Justiz dominieren, sind ganz grundsätzlich gegen diese Vereinbarung. Sie provozieren womöglich gezielt eine Verschlechterung der Atmosphäre, um andere Länder zu entmutigen, weiter an dem Vertrag festzuhalten. Stattdessen wollen sie die Zentrifugen wieder hochfahren und den Iran in einen Atomwaffenstaat verwandeln.
Aggressive Rolle des Iran
Offenbar auch um den Preis, mit Deutschland einen der wenigen Staaten zu verprellen, der noch versucht, mit dem Iran im Gespräch zu bleiben.
Das interessiert Teile des Establishments nicht. Sie legen keinen Wert auf Partnerschaft. Sie setzen auf eine dominante, durchaus auch auf Aggression gestützte Rolle des Iran in der Region.
Könnte der Iran mit den Verhaftungen auch propagandistische Zwecke verfolgen? Die Regierung strebt ganz offenbar ja eine Führungsrolle im Nahen Osten an. Auch nach innen muss sich die Regierung legitimieren.
Propagandistische Wirkung verspricht sich die Regierung vor allem nach innen. Ein Anfang August verhafteter deutscher Staatsbürger, Dschamschid Scharmahd, wurde bereits im iranischen Fernsehen öffentlich vorgeführt. Er legte dort ein Geständnis ab. Darin erklärte er, er habe sich an einem tödlichen Anschlag auf eine Moschee in Schiras im Südiran beteiligt. Dabei ist allen Beobachtern klar, wie ein solches Geständnis zustande kommt: durch Folter.
Wenige Druckmittel
Wie kann Deutschland auf die Verhaftungen reagieren?
Durch eine sehr klare Sprache. Man muss in aller Eindeutigkeit die Freilassung der Inhaftierten fordern. Gleichzeitig muss Deutschland klar machen, dass die Verhaftungen und eine mögliche Lösung keinerlei Einfluss auf seine Position innerhalb des Atomabkommens haben.
Gibt es auch politische oder ökonomische Druckmittel?
Wenige. Der Iran steht ja bereits unter erheblichen US-Sanktionen. Noch größerer Druck als dieser lässt sich kaum aufbauen. Politisch ist das Land zudem weitgehend isoliert. Außerdem muss man achtgeben, dass man die Bevölkerung des Landes nicht in noch tiefere Not stürzt. Ihr geht es ja jetzt schon sehr schlecht. Politische Unfreiheit, eine dramatische Menschenrechtslage, tiefgreifende Korruption, lähmendes Missmanagement, das Grassieren der Pandemie sowie internationale Isolation und das beispiellose US-Sanktionsregime erdrücken zusammengenommen die Menschen des Iran von innen wie von außen. Man muss dem Iran unmissverständlich klarmachen, dass er auf dem besten Wege ist, ganz allein dazustehen, während man der Zivilbevölkerung deutlich Solidarität vermittelt.
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundestagsabgeordneter und dort ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss.
Das Interview führte Kersten Knipp.