Im NSU-Prozess beginnt die letzte Runde
30. August 2017Ende Juli war es endlich so weit: 374 Verhandlungstage nach Beginn des Prozesses gegen die rechte Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht verkündete der Vorsitzende Richter Manfred Götzl das Ende der Beweisaufnahme, und die Anklage konnte mit ihrem umfangreichen Plädoyer beginnen. Für Bundesanwalt Herbert Diemer ist erwiesen, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (im Artikelbild links) als Mittäterin an sämtlichen dem NSU zur Last gelegten Morden und Bombenanschlägen zu verurteilen sei. Neun der Opfer hatten einen Migrationshintergrund. Das zehnte Opfer war eine Polizistin. Mehr als 20 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, die meisten bei der Explosion einer mit Nägeln gefüllten Bombe in Köln.
Auch die vier Mitangeklagten sind aus Sicht der Bundesanwaltschaft überführt. Ralf Wohlleben, ehemaliger Funktionär der verfassungsfeindlichen NPD, soll die Tatwaffe beschafft haben, mit der die ersten neun Opfer getötet wurden. Carsten S. hat zu Prozess-Beginn zugegeben, die Waffe an den NSU übergeben zu haben. Als Auftraggeber nannte er Wohlleben, der das bestreitet. Beide müssen mit einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord rechnen.
Die mutmaßlichen Todessschützen leben nicht mehr
Als Todesschützen gelten Zschäpes enge Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die sich am 4. November 2011 selbst das Leben nahmen, wohl um ihrer Festnahme zu entgehen. Anschließend soll Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt haben. Ein Anklagepunkt, den die 42jährige nach langem Schweigen im NSU-Prozess Ende 2015 bestätigte. Von den Morden ihrer Gesinnungsgenossen will sie allerdings stets erst danach erfahren haben - eine Behauptung, die ihr die Bundesanwaltschaft nicht abnimmt.
"Die Angeklagte war der entscheidende Stabilitätsfaktor der Gruppe", sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger kurz vor Beginn der Sommerpause in dem spektakulären Strafverfahren. Zschäpe habe sich im Untergrund um Geld und Alibis gekümmert und an den Planungen für die Morde, Bombenanschläge und Überfälle mitgewirkt.
Die Rollen von André E. und Holger G.
Wenn nun der NSU-Prozess nach 30 Tagen Sommerpause fortgesetzt wird, steigt die Spannung weiter. Denn im günstigsten Fall könnte das Plädoyer der Anklage schon am Freitag enden. Bundesanwalt Diemer hatte zu Beginn die Gesamtzeit für das Plädoyer auf 22 Stunden geschätzt. Nach Zschäpe, Ralf Wohlleben und Carsten S. geht es noch um die Rollen von André E. und Holger G. Sie sind wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. André E. sagte als einziger im NSU-Prozess kein einziges Wort. Er soll Zschäpe bei ihrer Flucht nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt geholfen haben. Holger G. hatte zugegeben, dem NSU eine Waffe und gefälschte Ausweispapiere besorgt zu haben.
Schlusspunkt des Plädoyers wird die Forderung des Strafmaßes für die fünf Angeklagten sein. Prozessbeobachter rechnen allgemein damit, dass Bundesanwalt Diemer für die Hauptangeklagte Zschäpe mindestens eine lebenslange Freiheitsstrafe verlangen wird. Die würde üblicherweise frühestens nach 15 Jahren enden. Gut möglich ist aber, dass die Anklage zusätzlich eine anschließende Sicherheitsverwahrung wegen der Gefahr der Rückfälligkeit fordert.
Im Herbst könnte die Urteile gesprochen werden
Die Urteile könnten bei zügigem Verlauf der weiteren Plädoyers noch im Herbst gefällt werden. Nach der Anklage sind die Nebenkläger an der Reihe, allen voran die Angehörigen der NSU-Opfer und deren Anwälte. Den Abschluss bilden die Verteidiger der Angeklagten, bevor der Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl im Namen des Volkes das letzte Wort haben wird.