Kaum Widerstand gegen Macron
21. September 2017Tausende von Menschen bewegen sich vom Bahnhof Montparnasse im Zentrum von Paris nach Osten, in Richtung des Place d'Italie. Sie schwenken bunte Fahnen. Auf den Bannern in ihren Händen stehen Sprüche wie "Macron - Marionette der Bosse" und "Nein zum Programm der Medef", dem französischen Arbeitgeberverband Mouvement des Entreprises de France. Vor jeder der Menschentrauben, die langsam vorwärts gehen, feuert eine Person die Menge an. Parolen sind zu hören, wie "Die Bosse erlassen nicht die Gesetze - wir Arbeiter lassen uns nicht unterkriegen" oder auch "Unternehmer, Ihr Gauner, Ihr entkommt uns nicht".
Die Straßen von Paris - und von Städten in ganz Frankreich - sind wieder einmal Schauplatz des Klassenkampfs. Französische Arbeiter wehren sich gegen die Arbeitsmarktreform, die der Mitte-Links-Präsident Emmanuel Macron mithilfe von Verordnungen durchsetzen will. Doch so einfach werden sie die Reform wohl nicht verhindern können.
Für Jean-Luc Stagnol, Beamter im Erziehungsministerium, geht es schlichtweg darum, einen Anschlag auf den französischen Sozialstaat zu verhindern. "Macron will unser Sozialsystem auseinander nehmen, dass wir uns mühsam in über 70 Jahren erkämpft haben," sagt der 55-Jährige, der auch Mitglied von Jean-Luc Mélechons linksradikaler Partei La France Insoumise (LFI) ist. Besonders schockierend sei, dass Macron Abfindungszahlungen deckeln will. "Das heißt ja, dass es jetzt viel mehr ungerechtfertigte Kündigungen geben wird - schließlich müssen Arbeitgeber ja nicht mehr so tief in die Tasche greifen", erklärt er und grüßt im Vorbeigehen einen anderen Demonstranten mit "Hallo, Kamerad!".
Der Traum von einer Welt ohne Bosse
Stagnol träumt von einer Welt, in der es keine Bosse gibt, sondern Unternehmen Kooperativen von Arbeitnehmern sind. "Natürlich ist das bisher reine Utopie - schließlich erleben wir im Moment einen Triumph des Kapitalismus, und Unternehmer versuchen aktiv, die Arbeitnehmerrechte zu beschneiden. Und trotzdem müssen wir darauf hinarbeiten."
Die Demonstration an diesem Donnerstag ist für ihn erst der Anfang. Auch bei der nächsten, die LFI an diesem Samstag organisiert, wird er dabei sein. Fur nächsten Montag haben die Gewerkschaften des Transportsektors den Ausstand angekündigt. So findet Stagnol es nicht weiter tragisch, dass heute weniger Demonstranten auf den Straßen Frankreichs sind als beim ersten Demonstrationstag am 12. September. Laut Regierungszahlen waren an dem Tag gerade einmal rund 220.000 Menschen dabei. Eine relativ bescheidene Zahl - angesichts der über eine Million Gewerkschaftsmitglieder in Frankreich. Für Stéphane Wahnich, Politologe und Chef des Umfrageinstituts SCP Communication, ist die sinkende Zahl der Teilnehmer jedoch eine schlechte Nachricht für die Demonstranten. Schließlich habe die Protestbewegung nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn sie früh an Fahrt gewinne.
"Um eine Eigendynamik zu entwickeln, müssen bei jeder Demonstration mehr Menschen mitmachen", sagt er. "Dann wären die anderen Gewerkschaften sozusagen gezwungen mitzuziehen. Und die Protestbewegung könnte sich langsam in der Gesellschaft ausweiten - also auch zum Beispiel auf den Transportsektor."
Wichtig sind die Studenten
Wichtig dabei seien unter anderem die Universitäten, so Wahnich. Seit den 1990er Jahren hätten nur Massen-Protestbewegungen von Studenten und Schülern Reformen wirklich verhindern können, wie etwa die Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform 2006, die bei ersten Arbeitsverträgen den Kündigungsschutz lockern sollte.
Die Gewerkschaft des Erziehungssektors FSU und die Studentenorganisation Unef haben sich tatsächlich der linksradikalen Gewerkschaft CGT für diese Demonstration angeschlossen. "Die Arbeitsmarktreformen sind wiiiiderlich", singen so etwa 50 Studenten der Universität Nanterre bei Paris. Sie tragen ein Banner vor sich her, auf dem steht "Wir sind gegen die Zerstörung unseres Sozialsystems", und tanzen wild zu ihrem Slogan. Typhaine Rahaunt, Doktorandin der Soziologie, ist eine von ihnen. "In Zukunft wird es in unserem Land keinen Arbeitnehmerschutz mehr geben", sagt sie. "Denn was jetzt im Privatsektor anfängt, werden sie bald auf den öffentlichen Sektor ausweiten. Deswegen müssen wir die Reform jetzt und hier stoppen". Schließlich habe Macron angekündigt, er wolle 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst kürzen.
Dennoch sind in Frankreich längst nicht alle Studenten im Ausstand. Landesweite Blockaden der Schulen und Universitäten bleiben bisher aus. Auch auf Gewerkschaftsseite weigern sich die gemäßigtere FO und vor allem Frankreichs größte Gewerkschaft, die gemäßigte CFDT, sich den Demonstrationen offiziell anzuschließen. Obwohl sie ihren Unwillen über gewisse Teile der Reform zum Ausdruck gebracht haben und einige ihrer regionalen Gruppen bei den Protesten an diesem Donnerstag mitlaufen.
Macrons Strategie macht den Unterschied – zumindest bisher
Der Aufschrei gegen Macrons Pläne zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist also bisher weniger laut als bei früheren Reformvorhaben - in der Opposition, in den Medien und auf der Straße. Und das, obwohl der neue Präsident umstrittene Teile der Arbeitsmarktreform der sozialistischen Vorgänger-Regierung wieder aufgegriffen hat. Neben der Deckelung der Abfindungen gehört dazu auch, dass internationale Unternehmen künftig Angestellte in Frankreich entlassen dürfen, wenn sie hierzulande Verluste machen. Sie müssen ihre Entscheidung, die in Frankreich der Staat absegnen muss, nicht wie bisher mit weltweiten Umsatzzahlen begründen. Nach monatelangen Protesten musste der damalige Staatschef Hollande genau auf diese Teile der Reformen verzichten.
Doch Macron scheint damit durchzukommen - und zwar aufgrund seiner Strategie. "Er hatte die Reformen schon vor seiner Wahl in diesem Jahr angekündigt und sich, im Gegensatz zu Hollande, wochenlang mit den Gewerkschaften abgestimmt", erklärt Wahnich.
So scheint selbst die relativ autoritäre Umsetzung der Reformen auf begrenzten Widerstand zu stoßen. Die Regierung will sie nämlich mithilfe von Verordnungen durchbringen. Die werden an diesem Freitag durch den Ministerrat gehen, Anfang nächster Woche im Amtsblatt veröffentlicht. Dann muss das Parlament die Reform nur noch innerhalb von drei Monaten ratifizieren. Eine Debatte über den Inhalt der Reformen findet im Parlament nicht statt.
Laut Umfragen sind 53 Prozent der Franzosen dafür, dass die Regierung den Arbeitsmarkt reformiert. Eine überragende Mehrheit sei das jedoch nicht, meint Wahnich. Die Stimmung könne durchaus noch kippen - zumindest, wenn das relativ schnell passiere. "Sollte die Reform erst einmal ratifiziert sein, wird es zu spät sein", meint er.