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Musik

"Wir schaffen das": Zwei Musiker ziehen Bilanz

Matthias Beckonert
28. August 2020

Rapperin Nura flüchtete vor 30 Jahren nach Deutschland, Pianist Aeham Ahmad vor fünf. Ihr Leben zwischen Musik, Vorwürfen und der Steuererklärung.

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Der Pianist Aeham Ahmad und die Rapperin Nura Habib Omer
Der Pianist Aeham Ahmad und die Rapperin Nura Habib Omer

Fünf Jahre ist es her, als Angela Merkel ihre vielleicht berühmtesten drei Worte sagte: "Wir schaffen das". Es sollte ein folgenreicher Satz werden - für die Bundeskanzlerin und die deutsche Gesellschaft, aber eben auch für diejenigen, die in dem Satz nur etwas versteckt als "das" vorkamen: Tausende Geflüchtete waren in Ungarn sowohl an der Ein- wie auch der Ausreise gehindert worden, viele weitere noch auf dem Weg, als Angela Merkel Deutschlands Bereitschaft signalisierte, Flüchtende aufzunehmen.

Bekannt als der "Pianist aus den Trümmern"

"Diese Worte von Frau Merkel waren für mich eine wundervolle, humanistische Hilfe", sagt Aeham Ahmad heute. Er gehörte zu denen, die damals auf der Flucht waren, irgendwo zwischen dem heutigen Nordmazedonien und Serbien. Einer von jenen, die durch Merkels Satz neuen Mut schöpften. Im Gegensatz zu den Flüchtenden um ihn herum aber war Ahmad schon weltweit bekannt: Als "Pianist in den Trümmern", wie ihn westliche Medien tauften, hatte der syrisch-palästinensische Pianist seit 2014 trotz Lebensgefahr immer wieder sein Klavier auf die zerstörte Straße seines Viertels in Damaskus geschoben. Er spielte dort Lieder und sang gemeinsam mit anderen, häufig Kindern, um Ihnen Hoffnung zu machen. Die Bilder gingen um die Welt. 

Bis der sogenannte Islamische Staat sein Klavier verbrannte. 2015 flüchtete Aeham Ahmad dann nach Deutschland, wo er im Dezember für sein Klavierspiel in den Trümmern zum ersten Preisträger des Internationalen Beethovenpreises ernannt wurde. Ein Jahr später folgte seine Frau mit den beiden Söhnen, mittlerweile leben auch Ahmads Eltern in Deutschland. Vor sieben Monaten kam Tochter Bulsara auf die Welt. 

Konzertpianist in ganz Europa

Ahmad wohnt inzwischen in Warburg in Nordrhein-Westfalen. Als wir mit ihm sprechen wollen, bittet er um einen Termin möglichst früh am Morgen, da er den restlichen Tag im Aufnahmestudio sein neues Album einspielen wird. Am nächsten Tag geht es dann weiter zu einem Konzert in die Schweiz, in den Tagen zuvor war er schon in Berlin und Warburg aufgetreten.

Fast entschuldigend sagt Aeham Ahmad das im DW-Interview mit einer sanften, zurückhaltenden Stimme. Und auf Englisch: Darin fühle er sich bei längeren Interviews sicherer als auf Deutsch. Oft werde ihm das vorgeworfen, erzählt Ahmad: "Viele Leute sagen zu mir: 'Du sprichst über Integration, aber auf der Bühne nicht einmal Deutsch.'" In der Kulturnation Deutschland, die sich seit ihren Anfängen über die deutsche Sprache legitimierte, ist dieser Vorwurf so verständlich, wie er unzureichend ist. "Integration heißt nicht nur Sprache, es heißt auch Respekt für die Gesetze und Kultur. Vor allem bedeutet es für mich aber, mit den Menschen eine Verbindung aufzubauen."

Auf ein Wort... Deutsch

Integration ist ein schwieriger Begriff: Er suggeriert eine bestehende, homogene Gesellschaft, in die sich Zugewanderte möglichst unauffällig einfügen sollen. Dass man von einer solchen einheitlichen Kerngesellschaft aber gar nicht ausgehen kann, zeigen schon wiederkehrende Diskussionen über strukturschwache Regionen oder abgehängte Bevölkerungsgruppen.

Integration durch Musik

Pianist Aeham Ahmad 2017 bei einem Auftritt mit dem Edgar Knecht Trio in Kassel
Aeham Ahmad musiziert meist gemeinsam mit anderen Künstlern: Musik ist für ihn VerständigungBild: DW/A. Steffes-Halmer

Spricht Ahmad von Verbindung, geht es ihm um Wechselseitigkeit. Die Forschung versteht Integration als gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Gütern sowie das Teilhaben an der Gestaltung von Gesellschaft. Ahmad hat dafür seinen eigenen Zugang gefunden: Über Musik könne Integration hervorragend gelingen, sagt der Pianist. Er kann damit nicht nur seine Familie ernähren, auf seinen Touren durch Europa tritt er auch mit anderen Künstlern aus den jeweiligen Ländern auf, um über die Musik zu einer gemeinsamen Sprache und einem neuen Stil zu kommen.

Einen seiner schönsten musikalischen Integrationsmomente hatte Aeham Ahmad erst vor wenigen Tagen bei dem Auftritt in Warburg: "Bei diesem Konzert holte ein Freund meinen fünfjährigen Sohn auf die Bühne. Und plötzlich singt Kinan 'Die Gedanken sind frei'", erzählt Ahmad lachend: Ein Junge aus Syrien, eine hohe und durchdringende Stimme und noch keine Idee von der Bedeutung des Textes. "Das war für mich so ein berührender Moment. Denn genau deshalb habe ich ihn nach Deutschland geholt: Damit er seine Gedanken, Gefühle und Ideen frei äußern kann."

Seinen "traurigsten Tag" erlebte Ahmad im August 2014. Auf die Bitten einiger Kinder des Viertels schob er sein Klavier auf die Straße und sang mit ihnen, als plötzlich die 12-Jährige Zeinab neben ihm von einem Scharfschützen erschossen wurde. Er beschreibt sie in seiner 2017 erschienenen Autobiografie "Und die Vögel werden singen" als fröhliches Mädchen, das Rap-Musik mochte: "Kämpfen mit Musik. Das war ihre Idee." 

Musik macht auf Ungerechtigkeiten aufmerksam

Die Rapperin Nura beim Lollapalooza-Festival in Berlin
Volltätowiert und im farbenfrohen Outfit tritt Nura 2019 beim Lollapalooza-Festival in Berlin auf. Sie habe ein "Faible für Leute, die anders aussehen"Bild: Imago Images/Eibner

Nura Habib Omer, unter ihrem Vornamen Nura eine der erfolgreichsten Rapperinnen Deutschlands, tut genau das, was der jungen Zeinab durch ihre Tötung verwehrt wurde: Sie rappt und nutzt ihre Reichweite, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Als schwarze, feministische und bisexuelle Künstlerin mit Fluchtgeschichte bietet sich genug an Gesprächsstoff.

"Es kommt mir vor, als würde ich seit 31 Jahren Rassismus und Sexismus studieren", sagt Nura im DW-Interview. "Es ist normal gewesen, diese Sachen mit mir rumzuschleppen. Es ist immer noch normal. Ich hoffe, dass sich das bis zu meinem Tod verändert hat." Um das zu erreichen, bedient sich Nura häufig an Klischees und Vorurteilen über Frauen, um diese neu und positiv zu besetzen. Genau wie Aeham Ahmad hat Nura in der Musik einen Weg gefunden, mit der eigenen Situation zurecht zu kommen und gleichzeitig auf Ungerechtigkeiten und Probleme aufmerksam zu machen.

Die Biografien der beiden weisen einige Parallelen auf: Wie Ahmad wurde Nura 1988 geboren und floh nach Deutschland. Beide waren in den Herkunftsländern zuvor schon Flüchtlinge: Ahmads Familie lebte in dem Flüchtlingsviertel Jarmuk in Damaskus, in das sein Großvater vor 70 Jahren aus Palästina geflohen war. Nura wurde in Kuweit geboren, wohin ihre eritreische Mutter mit den Kindern zunächst geflohen war, bis sie dort wegen des Zweiten Golfkriegs auch nicht mehr sicher waren. Nura und Aeham Ahmad verdienen heute beide mit Musik ihr Geld.

"Kinder müssen westliches Leben leben dürfen"

Der große Unterschied: Nura kam schon als Kleinkind nach Deutschland und kennt keine andere Heimat. Offiziell lebt sie allerdings immer noch als Geflüchtete hier: Den deutschen Pass hat Nura bis heute nicht, seit Dezember 2019 mit Hilfe eines Anwalts aber immerhin einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Die Frage nach gelungener Integration begleitet Nura schon ihr ganzes Leben lang. 

Ihre Mutter wollte die Kinder nach muslimischen Werten erziehen, Nura hingegen wollte dieselben Freiheiten genießen dürfen wie ihre Brüder. So bekam Nura nicht nur Druck von außen, sondern auch von innen aus der Familie. "Wenn Kinder sich integrieren sollen, dann müssen sie ein westliches Leben leben dürfen", schreibt sie in ihrer Autobiografie "Weißt du, was ich meine?", die im August dieses Jahres herauskam. Nura entschied sich als Jugendliche, freiwillig in ein Heim zu ziehen.

Erfolg bedeutet nicht Gleichberechtigung

Dort litt sie an Depressionen. Nach dem Umzug nach Berlin als Volljährige war ihr Leben von Arbeit, Drogen und Partys geprägt. Wenn Nura heute davon spricht, es geschafft zu haben, meint sie den Weg "Vom Asylheim in die Charts" - so der Untertitel ihrer Biografie.

Wobei ein Platz in den Charts nicht gleichzusetzen sei mit gesellschaftlicher Teilhabe, wie Nura verdeutlicht: Sie müsse den höchsten Steuersatz zahlen, dürfe in Deutschland aber nicht einmal wählen: "Mein Geld ist gut genug, alles andere wollt Ihr nicht von mir haben." Es zu schaffen, hat viele Facetten.

Während Nura ihre öffentliche Präsenz mit Talkshow-Auftritten verstärkt, will Aeham Ahmad in den nächsten fünf Jahren etwas kürzer treten. "Die Konzerte sind wundervoll, aber das ständige Hin- und Herfahren kostet viel Energie. Ich will ein guter Papa sein, an der Erziehung meiner Kinder teilhaben. Das ist gerade schwierig. Vielleicht finde ich hier in Warburg einen festen Job, zum Beispiel als Musiklehrer."