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Nymphomaniac, Volume I, Long Version

Silke Bartlick9. Februar 2014

Über diesen Film von Lars von Trier wird seit Wochen viel diskutiert. Unsere Reporterin verfolgte die Premiere auf der Berlinale. Nun ist der erste Teil auch in den deutschen Kinos zu sehen.

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Berlinale 2014 Pressekonferenz PK Nymphomaniac Volume I
Bild: Getty Images

Lars von Trier lächelt leise in die Kameras. Aber er sagt kein Wort. "Persona non grata" steht in Versalien auf seinem T-Shirt. Darüber weht eine stilisierte Goldene Palme. Lars von Trier ist nur zum Foto-Shooting gekommen, dann verschwindet er wieder. 2011 hatte der dänische Regisseur beim Filmfestival an der Côte d'Azur mit Nazisprüchen für einen Eklat gesorgt. Er wurde vom Festival verbannt und schweigt seitdem gegenüber der Presse. Aber er macht weiterhin Filme. Nun, bei der Berlinale, läuft sein womöglich bester außer Konkurrenz im Wettbewerb.

Alles anders

"Nymphomaniac, Volume I, Long Version". Die 145 Minuten lange Beichte einer sexsüchtigen Frau. Ein Film, über den seit Wochen geredet und geschrieben wird. "Porno", "Erotikdrama", "der verruchteste Beitrag der Berlinale", die Schauspieler haben sich von Pornodarstellern doubeln lassen. Und dann beginnt der Film und ist ganz anders. Ohne Bild zunächst, schwarz die Leinwand, nur ein paar diffuse Geräusche. Schließlich Licht, ein Hinterhof, grau. Schneefall, Wassertropfen, die eine zerfurchte Backsteinwand hinunter rinnen, auf blecherne Mülleimerdeckel prallen. Und dann Musik. Rammstein. "Fühle mich, halte mich. Ich verlasse dich nicht." Und eine blutverschmierte Hand. Sie gehört Joe (Charlotte Gainsbourg), einer nicht nur am ganzen Leib, sondern, wie sich herausstellen wird, auch an der Seele schwer verletzten Frau. Ein sanftmütiger, alternder Mann (Stellan Skarsgård) namens Seligman findet sie und nimmt sie, weil sie weder Arzt noch Polizei will, mit zu sich nach Hause. Lässt sie duschen, gibt ihr einen seiner Pyjamas, kocht ihr Tee. Und fragt schließlich, was passiert ist, und hört zu.

Berlinale 2014 Nymphomaniac von Lars von Trier
Sex im Zug - ein KinderspielBild: Christian Geisnæs

In langen Rückblenden, zögernd zunächst, und dann immer offener, erzählt Joe ihrer Zufallsbekanntschaft, in der bald das "Alter Ego" von Lars von Trier durchscheint, ihre Geschichte. Seligman ist einer, der das Leben eher aus den Büchern kennt. Aber er hat viel gelesen, und deshalb kennt er das Leben gut. Und er kennt sich auch mit Religion und Philosophie und mit Bachs Musik und mit dem Fliegenfischen aus. Weshalb er immer wieder einordnen und relativieren und manchmal auch sehr komische Vergleiche ziehen kann.

"Ich bin ein schlechter Mensch", sagt Joe. Aber so, wie sie es sagt und wie sie dabei guckt, kann das gar nicht wahr sein. Seligman jedenfalls begreift bald, was für ein zerbrechliches Vögelchen da unter seiner Bettdecke kauert. Eine Frau, die ihren herzensguten, poetischen Vater über alles geliebt und die verschlossene Mutter verachtet hat. Die seit Kindertagen ein kosmisches Verlangen in sich spürt, eine Gier nach Leben, einen Hunger nach Farben. Und deren Sehnsüchte immer unerfüllt geblieben sind, weil dem Leben die Lust am Leben abhanden gekommen ist. Was bleibt, ist Sex. Kalkuliert, durchorganisiert, herzlos.

Leerer Sex

Die Entjungferung, stoisch ertragen, die Stöße des jungen Mopedfahrers innerlich mitgezählt und wie eine kleine mathematische Schautafel über die Szenerie gelegt. Dann ein Wettbewerb mit der besten Freundin im Zug: Wer kriegt die meisten Typen rum? Gewinn: eine Dose Schokobonbons.

Joe (als Heranwachsende gespielt von Stacy Martin) leidet an der Rationalität der Welt und führt die vor, die nach ihr funktionieren: ihre Liebhaber. Oft mehrere am Tag, bei denen die Würfel darüber entscheiden, ob sie mit ihnen kokettiert, sie brüskiert oder ihnen den Laufpass gibt.

Berlinale 2014 Pressekonferenz PK Nymphomaniac
Lars von Trier mit Darstellerin Uma Thurman beim Foto-ShootingBild: Reuters

Die Logik dieser Geschichte bringt es mit sich, dass man mit einer gewissen Regelmäßigkeit Sexszenen sieht. Sex, Sex und nochmals Sex und Körper, Körper, Körper in unterschiedlichsten Ausführungen. Nacktes Begehren, ohne Hintersinn und Tiefe. Sex um des Sexes willen als Angriff auf eine Welt, in der alles sexualisiert ist. Unendlich einfühlsam und poetisch und klug, bildstark und immer wieder herzhaft komisch erzählt Lars von Trier Joe's Lebensgeschichte in mehreren Kapiteln. Mit Rückblenden, Assoziationen und erstaunlichen Querverweisen. Einmal scheint übrigens auch für Joe das Glück zum Greifen nahe zu sein. Als sie sich tatsächlich verliebt hat. Bloß ihr Körper, der macht jetzt nicht mit, er ist plötzlich gefühllos und taub. Beides zusammen, Sex und Liebe, das funktioniert nicht. Das funktioniert in dieser Welt nicht. Und dann wieder Musik. Rammstein. "Fühle mich, halte mich. Ich verlasse dich nicht." Was für eine Anklage!

Nach der Pressevorstellung ist das Team von der Presse fast überrannt worden. Lars von Trier kam ja nur zum Fotoshooting. Aber Dieter Kosslick war auch da, der Chef der Berlinale. Der taucht selten bei den Pressekonferenzen auf. Ein Zeichen also, ein kleine, aber deutliche Verbeugung vor Lars von Trier.