Nächtliche Debatte zu Nord Stream 2
7. November 2019Die Bundesregierung will Nord Stream 2, unbedingt. Bundeskanzlerin Merkel hat daran öffentlich keinerlei Zweifel gelassen. Und auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte erst Mitte Oktober bei ihrem Antrittsbesuch im Baltikum, die Gasleitung sei für die Gastgeber sicher "ein schwieriges Projekt", doch es sei "unredlich, den Eindruck zu erwecken", dass Nord Stream 2 "noch gestoppt werden könnte". Die Bundesregierung hält die direkte Gasleitung von Russland nach Deutschland wegen der Versorgungssicherheit für unverzichtbar.
Doch vor allem einige östliche EU-Länder sind dagegen. Sie und die USA argumentieren, Deutschland mache sich damit zu abhängig von Moskau. Die Ukraine befürchtet außerdem, dass sie in Zukunft weitgehend vom Erdgas-Transitgeschäft ausgeschlossen werden könnte. US-Präsident Donald Trump hatte sogar mit Sanktionen gegen Firmen gedroht, die sich an Nord Stream 2 beteiligen.
Zwar argumentiert Trump ebenfalls sicherheitspolitisch: Deutschland könne damit zur "Geisel" Moskaus werden. Doch im Fall der USA stecken auch wirtschaftliche Interessen dahinter: Die US-Amerikaner würden den Deutschen gern eigenes Flüssiggas verkaufen - was allerdings deutlich teurer ist als russisches Erdgas.
Schützenhilfe von der AfD
Der mächtigste Gegner der Bundesregierung ist aber die Europäische Kommission. Die überarbeitete Gasdirektive der EU sieht eine vollständige Entflechtung von Betreiber und Nutzer beziehungsweise Gaslieferant vor. Die russische Gazprom dürfte demnach nicht mehr Eigentümer der Pipeline sein und gleichzeitig eigenes Gas durch sie leiten.
Damit würde Nord Stream 2 in der geplanten Form für die russische Seite aber nicht mehr lukrativ. Margrethe Vestager, die designierte Vizepräsidentin der angehenden EU-Kommission und bisherige Wettbewerbskommissarin, hatte im September gesagt, Nord Stream 2 sei "kein europäisches Projekt".
Doch die Arbeiten an der Gasleitung gehen unvermindert weiter. Und die Bundesregierung hält trotz aller Kritik an dem Projekt fest. Sie bekommt dabei Schützenhilfe ausgerechnet von der AfD, mit der sie sonst politisch nichts zu tun haben will. Die rechtspopulistische Partei fordert die Bundesregierung nun auf, die an dem Nord Stream 2-Projekt beteiligten europäische Firmen vor möglichen US-Sanktionen zu schützen.
Bei möglichen negativen Auswirkungen der Sanktionen auf das Projekt sollten Finanzmittel der staatlichen KfW-Bankengruppe zur Finanzierung bereitgestellt werden, um eine Verteuerung und Verzögerung des Projekts zu vermeiden.
Auch ein politisches Projekt
Die Strategie der Bundesregierung besteht jetzt offenbar darin, einen Passus in der geänderten EU-Richtlinie aufzuweichen. Der besagt, nur Energieprojekte, die vor dem 23.September 2019 fertiggestellt worden seien, könnten von der Verschärfung ausgenommen werden. Nord Stream 2 fällt allerdings klar nicht darunter, denn die Leitung ist ja noch nicht fertig. Dies wird erst gegen Ende des Jahres oder Anfang 2020 der Fall sein.
Die Bundesregierung argumentiert gegen die Verschärfung unter anderem mit Vertrauensschutz für die bereits getätigten hohen Investitionen. Ob ihr das gelingt, ist vor allem eine Frage rechtlicher Auseinandersetzungen mit der Kommission sowie einer möglichen Verständigung mit den Kritikerstaaten. Das dürfte nicht einfach werden. Vor allem als sich das traditionell mit Deutschland verbündete Frankreich vor einigen Monaten demonstrativ auf die Gegnerseite des Projekts stellte, war das für Berlin ein schwerer, auch symbolischer Schlag.
Für Kanzlerin Merkel war die Gasleitung lange ein rein wirtschaftliches, unternehmerisches Projekt, in das sich die Regierung nicht einmischen sollte. Erst im April gab die Kanzlerin nach immer heftigerer ausländischer Kritik zu, dass "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". "Berücksichtigen" heißt für sie aber keinesfalls, diesen Ländern ein Veto einzuräumen.
Die Leitung ist fast fertig
Und Verbündete gibt es auch. So gab Dänemark im Oktober Umwelteinwände gegen ein Teilstück der Leitung auf, das durch dänische Hoheitsgewässer führen soll. Die Nord Stream 2 AG hatte mehr als anderthalb Jahre auf die Zustimmung der Dänen gewartet.
Dem Unternehmen zufolge sind inzwischen mehr als 2000 Kilometer des Pipeline-Doppelstrangs verlegt worden. In russischen, finnischen und schwedischen Gewässern seien die Arbeiten vollständig, in deutschen Gewässern größtenteils abgeschlossen. Der Bau beider Anlandestationen in Russland und Deutschland stehe kurz vor dem Abschluss. Jährlich sollen in Zukunft 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Rohre nach Deutschland fließen - wenn sich nicht doch noch die Gegner durchsetzen.