Obama redet Europäern ins Gewissen
25. April 2016Es war ein kurzfristig anberaumtes Treffen, geboren aus der guten Gelegenheit: Der US-Präsident zu Gast in Hannover, die Stadt von tausenden Polizisten gesichert und abgeriegelt und mit ihr das Schloss Herrenhausen als bestens für politische Gespräche geeigneter Ort. Da bot es sich an, dass der britische Premier David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und der italienische Regierungschef Matteo Renzi den kurzen Weg aus London, Paris und Rom nahmen, um sich in Hannover mit Barack Obama und Angela Merkel an einen Tisch zu setzen.
Ein Meinungsaustausch, mehr sollte es offiziell auf keinen Fall sein. Kein Mini-Gipfel und schon gar kein Treffen der G5. Das Bundespresseamt bemühte sich sehr, das 90 Minuten lange Gespräch auch in der medialen Ausgestaltung klein zu halten. Ein Pressezentrum, das eigens für die Gespräche zwischen Obama und Merkel am Sonntag im Schloss Herrenhausen errichtet worden war, stand am Montag nicht mehr zu Verfügung. Eine Pressekonferenz war nicht eingeplant, lediglich Fotos und bewegte Bilder durften gemacht werden.
Flammender Appell
Dabei hatte Barack Obama seinen europäischen Kollegen doch so viel zu sagen. Was genau, das ließ der US-Präsident bereits am Mittag wissen, als er auf der Hannover Messe eine Rede hielt, die an Deutlichkeit nicht zu überbieten war. "Die Welt braucht ein starkes und vereintes Europa", sagte Obama, wohl wissend, dass die EU derzeit in einer Zerreißprobe nie gekannten Ausmaßes steckt. Doch die USA brauchen die Europäer, heute mehr denn je. Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, die Ukraine, der Konflikt mit Russland - angesichts der vielen Krisenherde auf der Welt wäre es für die USA ein Albtraum, wenn die EU zerfallen würden. "Wir brauchen ein starkes Europa, damit es seinen Teil der Lasten zusammen mit uns trägt", sagte Obama.
"Sie können sich darauf verlassen, dass Ihr größter Verbündeter und Freund, die Vereinigten Staaten von Amerika, an Ihrer Seite stehen. Schulter an Schulter, jetzt und für immer", beschwor der US-Präsident die Europäer in seiner Rede. Ein vereintes Europa sei jetzt "eine Hoffnung der Vielen und eine Notwendigkeit für uns alle". Europa spiele eine entscheidende Rolle in der Welt, betonte der Gast aus den USA. "Europa trägt dazu bei, dass die Normen und Regeln aufrecht erhalten werden, mit denen Frieden geschaffen werden kann auf der ganzen Welt." Beispielsweise wären ohne die enge Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA das Atom-Abkommen mit dem Iran und das Klima-Abkommen von Paris nicht möglich gewesen.
Mehr Geld für Verteidigung
Unter anderem dürfe nicht zugelassen werden, dass Grenzen neu gezogen würden. "Nicht durch militärische Gewalt", so Obama mit Blick auf die Ukraine. "Echte Größe ergibt sich nicht, indem man die Nachbarn einschüchtert", lautete die Botschaft an Russland. Der US-Präsident fordert von den Europäern aber nicht nur Einigkeit, sondern auch ganz konkrete Unterstützung, insbesondere im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" (IS). Für Obama die derzeit "die größte Herausforderung" in der Welt.
Der Präsident kündigte in Hannover die Entsendung von 250 weiteren Soldaten im Kampf gegen die Terrormiliz IS an. Sie sollen in Syrien örtliche Gruppen unterstützen, aber nicht selbst an der Front kämpfen. Auch bei der Stärkung der NATO sieht Obama noch viel Luft nach oben. "Ich muss ehrlich sagen, dass Europa manchmal etwas selbstgefällig war hinsichtlich der eigenen Verteidigung." Notwendig sei unter anderem, dass jedes Nato-Mitgliedsland seinen vollen Beitrag von zwei Prozent des Brutto-Inlandsproduktes leiste.
Die Sache mit der Raute
Forderungen, die Obama bereits im Gespräch mit Angela Merkel am Sonntag formuliert hatte. Die Kanzlerin erscheint ihm von allen Europäern am ehesten geeignet, die Union zusammen zu halten. "Ihre Führung mit ruhiger Hand - wir können von ihr lernen, wie man führt, wie sie mit den Händen führt", sagte Obama. "Ich weiß nicht genau, wie sie das hier nennen, wenn sie die Hände so zusammenlegt. Die Merkel-Raute, glaube ich."
Die "Raute" wird Merkel sicherlich auch gezeigt haben, als sie am Nachmittag mit Obama, Cameron, Hollande und Renzi am Tisch saß. Am Ende dauerte das Gespräch der Fünf in Herrenhausen knapp zwei Stunden. Anschließend verließ der US-Präsident Hannover und flog zurück nach Washington. Auch die Gäste aus London, Paris und Rom verabschiedeten sich nach dem Treffen von der Kanzlerin, die sich auf Bitten der Medien anschließend doch noch zu einem Statement bereit fand.
Wie erwartet standen demnach die weltpolitischen Krisen im Mittelpunkt der Gesprächsrunde, die in dieser Zusammensetzung häufiger gepflegt werde, sagt Angela Merkel. Es gehe darum, außenpolitische Probleme zu besprechen und Aktionen abzustimmen. "Die drängendsten Fragen der sicherheitspolitischen Agenda wollen wir in einem engen transatlantischen Schulterschluss bewältigen", sagte die Kanzlerin und fügte hinzu, das sei ganz im dem Sinn, "wie der amerikanische Präsident heute appelliert hat". Es scheint also, als sei die Botschaft Obamas von einem starken, mit den USA einigen Europa, angekommen.
Libyen im Blick
Konkret beschäftigten sich die fünf Staats- und Regierungschefs neben der Lage in Syrien und dem Irak mit der Flüchtlingsthematik. Die Bekämpfung der Fluchtursachen sei wichtig, das Türkei-Abkommen mit der EU müsse durchgesetzt werden. Die USA hätten ihre Bereitschaft erklärt, "an der Bekämpfung illegaler Migration mitzuwirken", erklärte Merkel.
"Die USA sind auch bereit, auf der Migrationsroute aus Libyen nach Italien, wenn notwendig, mit Verantwortung zu übernehmen." Die EU-Mission "Sophia" zum Kampf gegen Schleuserkriminalität vor der libyschen Küste arbeite allerdings schon "sehr gut". Erklärtes Ziel sei auch, "alles gemeinsam zu unternehmen", um die neue Einheitsregierung in dem Bürgerkriegsland Libyen zu unterstützen.