Oberste Staatsanwältin rügt Maduros Regime
25. Mai 2017Venezuelas Generalstaatsanwältin Luisa Ortega hat nach knapp acht Protestwochen Bilanz gezogen und den Sicherheitskräften vorgeworfen, für mindestens 500 Verletzte verantwortlich zu sein. Gegen 19 Uniformierte werde wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen ermittelt, erklärte sie in einer öffentlichen Rede in der Hauptstadt Caracas.
Laut Ortega haben Ermittlungen gezeigt, dass in einem umstrittenen Fall der Tod eines Demonstranten von Sicherheitskräften verursacht worden sei. Demnach wurde der 20-jährige Student Juan Pernalete von einem Tränengasbehälter getroffen, der aus kurzer Distanz von einem Mitglied der Nationalgarde abgefeuert wurde. Die Behörden hatten angegeben, Pernalete sei von einer Pistolenkugel tödlich getroffen worden.
Nach Angaben Ortegas wurden während der Protestwelle 55 Menschen getötet - 52 Zivilisten und drei Polizisten. Mehr als 1000 Menschen, darunter 777 Zivilisten, erlitten demnach Verletzungen. Mehr als 2600 Personen wurden festgenommen, von denen 284 noch in Haft sind.
"Demonstrationen müssen friedlich bleiben"
Ortega rief alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf. "Wir verurteilen Gewalt, von wo auch immer sie kommt", betonte sie. "Demonstrationen müssen friedlich bleiben." Die Generalstaatsanwältin kritisierte zudem Politiker aller Seiten, die mit Gerüchten und Hypothesen über Gewaltakte die Ermittlungen behinderten.
Die 59-jährige Juristin kündigte an, Ermittlungen zu sieben Fällen einzuleiten, in denen Zivilisten vor Militärgerichte gestellt worden seien. Dies widerspreche der Verfassung. Ortega äußerte ihre Sorge um das Wohlergehen dieser Häftlinge und forderte Zugang zu ihnen. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Penal Forum sind Militärtribunale inzwischen gegen 338 Zivilisten vorgegangen, 175 Betroffene befinden sich noch in Haft.
Bisher linientreu
Ortega galt bisher als regierungstreue Beamtin. Sie ist der bisher ranghöchste Repräsentant des Staates, der sich derart kritisch zum Vorgehen der Behörden äußert. Allerdings hatte sich Ortega bereits zu Beginn der Proteste kritisch zu der Entscheidung des Obersten Gerichts geäußert, das eine Entmachtung des Parlament verfügt hatte, das von der Opposition kontrolliert wird. Das umstrittene Urteil von Ende März, das wenig später zurückgenommen wurde, löste die aktuelle Protestwelle aus.
Kurz nach dem Auftritt Ortegas teilte ihr Büro mit, bei den Auseinandersetzungen auf den Straßen habe es zwei weitere Todesopfer gegeben, darunter einen 14-Jährigen. Damit steige die Zahl der Todesopfer während der Proteste auf 57. Auch am Mittwoch kam es in vielen Städten wieder zu Protesten und Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Die Regierungsgegner fordern Neuwahlen und die Freilassung von inhaftierten Politikern.
Boykottaufruf der Opposition
Derweil kritisierten Oppositionspolitiker den jüngst veröffentlichten Zeitplan zur Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung. Im Juli sollen die 540 Mitglieder der Versammlung gewählt werden, wobei bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie Arbeiter, Bauern und Frauen bevorzugt werden sollen. Die Opposition will den Prozess boykottieren und brandmarkt ihn als Versuch Maduros, sich ohne Wahlen an der Macht zu halten. "Wir werden nicht an einem Betrug teilnehmen", betonte Oppositionsführer Henrique Capriles in Caracas. Er sieht darin Pläne für den Umbau zu einer offenen Diktatur, vor allem die Rolle des von der Opposition dominierten Parlaments könnte weiter geschwächt werden.
Die sozialistische Regierung und das bürgerliche Lager in Venezuela liefern sich seit Jahren einen erbitterten Machtkampf. Die Lage ist extrem angespannt, weil das Land mit den größten Ölreserven - und der höchsten Inflation - nach Jahren der Misswirtschaft unter anderem wegen des Ölpreisverfalls eine schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise durchlebt. Es fehlen Lebensmittel und Medikamente, die Kindersterblichkeit ist um 30 Prozent gestiegen.
Maduro wirft der Opposition einen Umsturzversuch mit Hilfe der USA vor und warnte US-Präsident Donald Trump, "seine schmutzigen Hände von Venezuela zu lassen". Das Militär wurde mit Sonderrechten ausgestattet, und etwa 500.000 Milizionäre sollen bewaffnet werden. Maduro macht für die Krise den gefallenen Ölpreise verantwortlich.
kle/sti (epd, rtre, dpa, afpe, ape)