Parlament in Venezuela erhält Rechte zurück
1. April 2017Der Oberste Gerichtshof in Venezuela hat die umstrittenen Urteile zur Entmachtung des Parlaments und zur Aufhebung der Immunität der Abgeordneten zurückgenommen. Das teilte er in einer Erklärung auf seiner Webseite mit. Die Entmachtung des Parlaments war international scharf kritisiert worden und hatte Sorgen um die Demokratie in dem südamerikanischen Staat geweckt.
Am Freitag hatte Präsident Nicolás Maduro daraufhin den nationalen Verteidigungsrat zu einer Krisensitzung einberufen. Anschließend erklärte er, das Gericht sei aufgefordert worden, seine Entscheidungen zu überprüfen, um "die institutionelle Stabilität und das Gleichgewicht der staatlichen Gewalten" aufrechtzuerhalten. In einer Fernsehansprache erklärte der sozialistische Präsident die durch die Urteile ausgelöste Krise für "überwunden".
Der Gerichtshof hatte am Mittwoch mit Urteil 156 der Nationalversammlung ihre Kompetenzen entzogen und auf sich selbst übertragen. Außerdem hob das Gericht einen Tag zuvor bereits die Immunität der Abgeordneten auf. Nun wurden diese beiden scharf kritisierten Urteile wieder kassiert.
Schwankende Sozialisten
Mit der gerichtlichen Rolle rückwärts bekommt das von der Opposition dominierte Parlament seine Kompetenzen zurück. Allerdings hatte Maduro zuletzt ohnehin mit Dekreten regiert - und das Gericht viele Parlamentsentscheidungen annulliert. Der ungewöhnliche Vorgang eines Zurückruderns zeugt auch von großer Uneinigkeit im Machtapparat der seit 1999 regierenden Sozialisten. Die Opposition hatte von einem "Staatsstreich"gesprochen, die Urteile Nr. 155 und Nr. 156 würden den Weg in Richtung Diktatur ebnen. Für Samstag waren trotz der neuen Wende Massendemonstrationen gegen die jüngste Eskalation geplant.
Das Land mit den größten Ölreserven der Welt ist unter Maduro in eine dramatische Versorgungskrise gerutscht. Die Inflation ist die höchste der Welt. Maduro macht für den Mangel an Lebensmitteln, Brot und Medikamenten einen "Wirtschaftskrieg" des Auslands verantwortlich und bat zuletzt sogar die Vereinten Nationen um die Lieferung von Medizin. Wegen der Geldentwertung des Bolívar können in Dollar und Euro abgerechnete Importe kaum noch bezahlt werden.
Die Opposition hatte die Parlamentswahl im Dezember 2015 mit Zweidrittel-Mehrheit gewonnen. Mit Hilfe des von den Sozialisten kontrollierten Gerichtshofs wurden Parlamentsentscheidungen aber häufig annulliert und Maduro regierte vermehrt mit Notstandsdekreten.
Machtwort der Generalstaatsanwältin
Die jüngste Entwicklung hatte sich bereits angebahnt, als am Freitag Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz massive Kritik übte und das Urteil öffentlich als "Verfassungsbruch" anprangerte. "Als oberste Repräsentantin des Ministerio Público, im Namen von 10.000 Mitarbeitern und fast 3000 Staatsanwälten, die in unabhängiger Weise ihre Aufgaben erfüllen, rufe ich zum Nachdenken auf, damit der demokratische Weg gewählt wird, dass die Verfassung respektiert wird", hatte Ortega Díaz betont.
Unterdessen kam es in der Hauptstadt Caracas zu Repressalien und Festnahmen bei Protesten. Eine Rundfunkjournalistin wurde von bewaffneten Polizisten angegriffen, zu Boden geworfen und weggeschleppt. Sie wollte vor dem Gerichtshof über die Lage berichten. Die Venezolanerin arbeitet für den kolumbianischen Sender Caracol. Die Regierung in Bogotá verurteilte den Angriff scharf. In der Rangliste der Pressefreiheit lag Venezuela 2016 auf Platz 139 von 180 - im Februar wurde wegen missliebiger Berichte der US-Sender CNN abgeschaltet.
kle/hf (afp, dpa, ape)