Österreich: Herbert Kickl auf dem Weg zum "Volkskanzler"?
6. Januar 2025Herbert Kickl polarisiert - auf diese Feststellung könnten sich die meisten Österreicher wohl einigen. Seinen politischen Gegnern gilt der 56-Jährige als "Sicherheitsrisiko" - so formulierte es Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP.
Anders sehen es offenbar die mehr als 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler, die Ende September Kickl und seiner rechtspopulistischen FPÖ zu einem fulminanten Wahlsieg verholfen haben: Mit 28,8 Prozent der Stimmen wurde die FPÖ erstmals stärkste Kraft im Nationalrat, dem österreichischen Parlament. Aktuell steht die FPÖ in Umfragen sogar bei rund 35 Prozent.
Nachdem die Gespräche für eine Regierung der politischen Mitte gescheitert sind, hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen nun offiziell der FPÖ den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt.
Vom Einzelgänger zum "Volkskanzler"?
Nach der Wahl veröffentlichte der österreichische öffentlich-rechtliche Rundfunk ORF Umfragen, wonach FPÖ-Wähler ihre Wahlentscheidung vor allem an den Inhalten festmachten - nur zwei Prozent nannten als erstes den Spitzenkandidaten als ausschlaggebendes Kriterium.
Herbert Kickl wird als weniger charismatisch als die früheren FPÖ-Chefs beschrieben, als Einzelgänger, der lange eher im Hintergrund operierte. Der 1968 in Villach im südlichsten Bundesland Kärnten geborene Kickl gibt nur wenige Interviews in handverlesenen Medien. Seine Vita ist nur in Grundzügen bekannt: Er ist verheiratet, Vater eines Sohns, betreibt Triathlon und Bergsport, nach dem Wehrdienst als Gebirgsjäger hat er in Wien Geisteswissenschaften studiert und ohne Abschluss beendet.
Nun steht Kickl bereit, nächster Bundeskanzler der Alpenrepublik werden - beziehungsweise "Volkskanzler", wie die FPÖ ohne Berührungsängste zur Nazi-Vergangenheit des Wortes plakatierte.
Bevor sich der Begriff "Führer" durchsetzte, ließ sich Adolf Hitler so nennen. Hitler war selbst in Österreich geboren und setzte 1938 dessen zeitweiligen Anschluss an das Deutsche Reich durch. Die FPÖ distanziert sich vom Nationalsozialismus und verklagte einen Monat vor der Wahl einen Verein, der über die Begriffsgeschichte aufgeklärt hatte.
Phönix aus der Asche der Ibiza-Affäre
Kickl hatte sich Schritt für Schritt in der Partei hochgearbeitet: Als Redenschreiber und Berater ihrer einstigen Leitfigur Jörg Haider, später als Generalsekretär unter dessen Nachfolger Heinz-Christian Strache. Der stürzte 2019 über die sogenannte Ibiza-Affäre. Ein heimlich auf Ibiza aufgenommenes Video dokumentierte, wie Strache und ein Parteifreund sich gegenüber einem Lockvogel offen für Korruption zeigten.
Kickl, Parteichef seit 2021, ist es gelungen, einen Schlussstrich unter die Ibiza-Affäre zu ziehen - und das, obwohl ihm der damalige ÖVP-Regierungschef Sebastian Kurz Verwicklungen unterstellte. Kickl, damals Innenminister, weigerte sich, gemeinsam mit Strache zurückzutreten und wurde als erster Minister im modernen Österreich entlassen.
Migrations-Hardliner, EU-Skeptiker, Putin-Versteher
In seinen gut 17 Monaten als Innenminister fiel Kickl immer wieder mit Hardliner-Positionen insbesondere gegenüber Migranten auf: Mal plante er eine Ausgangssperre in Erstaufnahmezentren - euphemistisch umschrieben als "freiwillige Nachtruhe" -, mal erwog er, in erster Instanz verurteilte ausländische Straftäter noch vor einem möglichen Berufungsverfahren abzuschieben. Im Europawahlkampf 2019 deutete Kickl sogar an, die Europäische Menschenrechtskonvention umgehen zu wollen: "Denn ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht", sagte Kickl damals wörtlich im ORF.
Herbert Kickl teilt die EU-skeptische Ausrichtung seiner Partei: In der Vergangenheit bezeichnete er die EU-Politik als "hochnäsig und selbstgefällig", das Wahlprogramm der FPÖ sieht eine Beschneidung der Kompetenzen von EU-Institutionen vor und fordert eine "Festung Österreich" innerhalb des Schengen-Raums. Damit ist die FPÖ etwas gemäßigter als die AfD in Deutschland, die auch zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 ihre Position eines EU-Austritts bekräftigt.
In vielen anderen Bereichen sind FPÖ und AfD jedoch auf einer Linie - so nutzen beide das Schlagwort "Remigration", um Stimmung für Massenabschiebungen zu machen. Kickl festigte islamfeindliche Parolen seiner Partei und hielt 2016 eine Rede bei einem rechtsextremen Vernetzungstreffen. Ihm wird der Wahlkampfslogan "Daham statt Islam" zugeschrieben ("Daham" bedeutet "zu Hause"). Ähnlich wie AfD-Vertreter suchte auch Kickl während der Corona-Pandemie die Nähe zu Impfgegnern und Verschwörungsgläubigen.
Russisches Gas - und Schuldzuweisungen gen Westen
FPÖ und AfD eint auch die Ablehnung von Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine. Im Februar 2023, am ersten Jahrestag der Vollinvasion, sprach Kickl im Parlament in Wien von einer "langen Vorgeschichte der Provokationen auch der USA und auch der Nato" - beide Seiten hätten Schuld. Kickl spricht sich gegen die europäischen Russland-Sanktionen aus; die FPÖ räumt russischem Gas "auch weiterhin einen wichtigen Beitrag" zur Versorgungssicherheit ein.
Die FPÖ hatte 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Wladimir Putins Partei "Geeintes Russland" geschlossen, spielt das Verhältnis inzwischen jedoch herunter. Deutsche Sicherheitspolitiker sagten im Herbst, man müsse im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung die Geheimdienstzusammenarbeit auf den Prüfstand stellen. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter nannte die FPÖ ein "trojanisches Pferd Russlands in Europa".
Würde Kickl Österreich auf Orban-Kurs bringen?
Seine Kritiker befürchten, dass Kickl sich als Kanzler am Stil des ebenfalls Russland-freundlichen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban orientieren und vielleicht sogar Österreich nach ungarischem Vorbild umbauen könnte. Beide pflegen ein gutes Verhältnis und hatten im Sommer in Wien mit dem früheren tschechischen Ministerpräsident Andrej Babiš die Gründung der Fraktion "Patrioten für Europa"im EU-Parlament besiegelt.
Nach dem Wahlsieg im September hatte sich in Österreich zunächst ein Bollwerk gegen Kickls FPÖ gebildet: "Niemand will Sie!", rief damals ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker im Parlament. Am Wochenende ist Stocker als geschäftsführender Nachfolger des bisherigen Parteichefs Nehammer aufgestiegen - und will nun doch über eine FPÖ/ÖVP-Regierung unter Herbert Kickl verhandeln.