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Ohne Arbeit keine Integration

Christoph Hasselbach16. September 2015

Es ist nicht das erste Mal, dass Zuwanderer in großer Zahl nach Deutschland kommen. Nicht immer ist ihre Integration gelungen. Woran das liegt, erklärt Franziska Woellert vom Berlin-Institut.

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Afrikanischer Migrant sortiert Lebensmittel im Supermarkt Foto: picture alliance/ZB/P. Pleul
Bild: picture alliance/ZB/P. Pleul

DW: Frau Woellert, Sie haben sich auch frühere Zuwanderungsphasen in Deutschland angesehen, zum Beispiel die der Gastarbeiter und ihrer Nachkommen. Welche Schlussfolgerungen können Sie für die Frage der Integration ziehen?

Franziska Woellert: Heute kann man deutlich sehen, dass Deutschland sehr lange unter einer verpassten Integration gelitten hat und immer noch leidet. Die Menschen wurden, wie der Name schon sagt, als Gäste angesehen, um die man sich nicht weiter kümmern musste - schon gar nicht um deren Integration. Was an Integration geleistet wurde, wurde von den Menschen selbst gestaltet, doch das ist auch auf sehr viele Hindernisse gestoßen.

Wie unterscheiden sich verschiedene Migrationsgruppen hinsichtlich der Integration voneinander?

Die verschiedenen Herkunftsgruppen unterscheiden sich vor allem darin, warum sie nach Deutschland gekommen sind. Die meisten Gastarbeiter sind erstens gekommen, um nicht so lange zu bleiben, und zweitens, um vor allem in niedrig qualifizierten Berufen zu arbeiten. Entsprechend niedrig war zumeist ihr Bildungsniveau. Das trifft auf viele südeuropäischen Zuwanderer der ersten Jahre zu, aber vor allem auf die große Gruppe der türkischstämmigen Migranten. Und dadurch, dass keine wirklichen Integrationsmaßnahmen getroffen wurden, haben es diese Menschen häufig auch in der zweiten und dritten Generation nicht geschafft, die Bildungsdefizite der ersten Generation auszugleichen.

Anders war es bei Iranern, die nach dem Sturz des Schahs 1979 nach Deutschland kamen. Warum?

Das waren eher Menschen aus der Oberschicht, die eine relativ gute Bildung hatten, die auch wirtschaftlich besser ausgestattet waren, und die es hier in Deutschland aufgrund dieser eigenen Fähigkeiten leichter hatten, sich zu integrieren.

Beim Asyl wird nicht nach den Qualifikationen gefragt. Aber Innenminister Thomas de Maizière hat gesagt, dass bis zu 20 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge, die im Moment zu uns kommen, Analphabeten seien. Was bedeutet das für die Integration?

Zunächst muss man sagen, solche Zahlen sind absolute Schätzgrößen. Wir wissen im Moment überhaupt nicht, was an Qualifikationsniveau unter den Flüchtlingen alles vertreten ist. Wir werden sehr viele Menschen mit guten Abschlüssen haben, vor allem Akademiker. Aber es wird auch Menschen mit einer sehr geringen Bildung geben. Diese Herausforderung wird auf uns zukommen. Es gibt Gruppen, bei denen man nicht nur mit der deutschen Sprache, sondern mit einer Alphabetisierung anfangen muss. Aber es ist zu früh zu sagen, wie viele es sind.

Eine Ihrer Haupterkenntnisse ist in jedem Fall, dass Integration ganz stark über Arbeit läuft.

Das ist richtig. Und das gilt auch für Flüchtlinge. Flüchtlinge kommen ja nicht, weil sie unbedingt kommen wollten, sondern weil sie nicht dort bleiben konnten, wo sie waren. Und sie kommen mit der großen Motivation, für sich und ihre Familien ein besseres Leben aufzubauen. Sie sind hochmotiviert, selbst aktiv zu werden, selbst gestalten zu können. Und sie müssen die Möglichkeit dazu haben. Nichts ist frustrierender, als den Sprung in die Sicherheit geschafft zu haben und dann zum Nichtstun verdammt zu sein. Den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen zu können, wird eine der Hauptaufgaben sein.

Franziska Woellert vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Franziska Woellert: "Eine Aufgabe für Jahrzehnte"Bild: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Wir haben im Moment sehr, sehr hohe Zahlen von Menschen, die zu uns kommen. Hat Integration eine Grenze wegen der schieren Zahlen?

Integration muss immer von beiden Seiten kommen. Wir haben im Moment in der deutschen Bevölkerung eine enorme Toleranz und Bereitschaft, die Flüchtlinge in die Gesellschaft aufzunehmen. Wie weit sich das trägt, kann heute keiner abschätzen. Aber es ist unglaublich wichtig, dass sich diese Akzeptanz in der Gesellschaft hält, um langfristig die Integration der Menschen zu garantieren.

Was müssen wir von uns selbst erwarten und was von den Migranten, damit Integration erfolgreich ist?

Im Moment gibt es auf beiden Seiten diese enorme Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Das müssen wir langfristig über den Moment der Emotionen hinaus erhalten. Denn die Integration der Flüchtlinge ist eine Aufgabe, die uns in den nächsten Jahrzehnten begleiten wird. Dabei stehen beide Seiten in der Verantwortung. Die meisten Flüchtlinge sind erst einmal froh, in Sicherheit zu sein, und sie hoffen, hier eine Perspektive zu finden. Wir müssen aufpassen, dass diese Hoffnung nicht irgendwann in Frust umschlägt, wenn sie merken, was vielleicht nicht geht. Und bei der deutschen Bevölkerung muss man zusehen, dass das, was jetzt an Hilfsbereitschaft kommt, ebenfalls nicht irgendwann umschlägt in Frust, wenn man merkt, dass nicht alles perfekt läuft, dass nicht jeder Flüchtling ewig dankbar ist, sondern dass man wie in jedem Zusammenleben auch Toleranz zeigen muss, dass sich Dinge auch verändern werden und dass man sich aufeinander einstellen muss.

Franziska Woellert arbeitet am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Sie ist Mitautorin der Studie "Neue Potenziale" von 2014 zum Stand der Integration in Deutschland.

Die Fragen stellte Christoph Hasselbach.