Olaf Scholz: Diplomatisch von Null auf Hundert
10. Februar 2022Washington, Berlin, Kiew, Moskau - das ist die Reiseroute, mit der Bundeskanzler Olaf Scholz einer Lösung in der Ukraine-Krise näherkommen will. Eine Route, auf der der Kanzler immer wieder damit konfrontiert wird, dass die Nato-Partner deutlich mehr von Deutschland erwarten, als bislang auf dem Tisch liegt. Doch Olaf Scholz wäre nicht mehr er selbst, wenn er sich davon beeindrucken lassen würde. Mit der ihm eigenen stoischen Art bleibt der Sozialdemokrat bei seiner Linie, viel zu versprechen, ohne dabei konkret zu werden.
"Wir verfolgen eine Doppelstrategie", sagte Scholz am Donnerstagabend im Beisein der drei baltischen Regierungschefs, die er zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen hatte. So wie am Dienstag den französischen Präsidenten und den polnischen Staatschef und am Mittwoch die dänische Regierungschefin. "Eine weitere militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine würde sehr schwerwiegende politische, wirtschaftliche und strategische Konsequenzen für Russland nach sich ziehen." In diesem Punkt sei man "geschlossen und entschlossen".
Balten erhofften sich Waffenlieferungen
Bei genauem Hinschauen gibt es allerdings durchaus unterschiedliche Sichtweisen. Die Polen, aber auch die Balten setzen vor allem auf Härte und Abschreckung. "Wir erleben die schwierigste Situation seit 1989", sagte der polnische Staatschef Andrzej Duda in Berlin. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die östliche Flanke der Nato stärken", fordert der litauische Staatspräsident Gitanas Nausėda. "Unser Bündnis muss in der Lage sein, rasch zu reagieren und entschlossen zu reagieren in der Region."
Die Balten sind unzufrieden damit, dass Deutschland Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnt. "Um ehrlich zu sein, haben wir mehr erwartet", sagte Nausėda in einem Zeitungsinterview. Die Balten sind seit Jahren mit russischen Truppenaufmärschen und Überflügen konfrontiert. Wie in der Ukraine, so leben auch in den baltischen Staaten Russen als ethnische Minderheit. Der Überfall und die Annexion der Krim wurden im Baltikum schon immer als reale Bedrohung auch für die eigene territoriale Integrität empfunden.
Deutschland soll diplomatisch führen
"Wir nehmen die Sorgen unserer Verbündeten sehr ernst", sagt Scholz und verweist darauf, dass die Bundeswehr seit mehr als fünf Jahren mit mehr als 500 Soldaten in Litauen als Nato-Führungsnation stationiert ist. Dieses Kontingent soll nun noch einmal aufgestockt werden. "Wir stehen an eurer Seite, das ist mir ganz wichtig", betont der Kanzler.
"Geschlossenheit, Entschlossenheit und strategische Geduld" fordert Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Jedes Zeichen der Uneinigkeit und mangelnder Entschlossenheit in der EU und in der NATO könnte ein falsches Signal an Russland senden, sagte sie. Lettlands Regierungschef Krišjānis Kariņš setzt darauf, dass Deutschland eine führende Rolle übernimmt, um das Bündnis durch die "schwierigen Zeiten hindurchzuführen". Zwischen den Zeilen ist das eine klare Botschaft: Wenn Deutschland schon keine Waffen liefern will, dann soll es zumindest auf der diplomatischen Ebene alles geben.
Streit um Nord Stream 2
Doch gilt das auch beim Thema Sanktionen? Nicht nur die Balten haben mit Befremden registriert, wie die Bundesregierung lange versuchte, die noch nicht in Betrieb gegangene Gaspipeline Nord Stream 2 aus der Liste der möglichen Sanktionen herauszuhalten. Die durch die Ostsee von Russland nach Deutschland laufende Pipeline sei ein "privatwirtschaftliches Vorhaben" und der Genehmigungsprozess "ganz unpolitisch", sagte Olaf Scholz noch im Dezember.
Die doppelte Gaspipeline verbindet Russland durch die Ostsee mit Deutschland. Nord Stream 2 ist fertig gebaut, aber noch nicht in Betrieb. "Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben", sagte US-Präsident Biden am Montag mit Nachdruck. Der neben ihm stehende Bundeskanzler hingegen wand sich. Er weigert sich, den Namen "Nord Stream 2" auch nur auszusprechen.
Viele Russland-Versteher in der SPD
Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. Scholz muss Rücksicht auf Stimmungen in seiner Partei nehmen. In der SPD gibt es traditionell ein weit verbreitetes Verständnis für Russland. Im linken Parteiflügel sehen sich Friedenspolitiker in der Tradition der früheren Ostpolitik der SPD und der damit verbundenen Annäherung an Russland. SPD-Politiker aus den ostdeutschen Bundesländern verfolgen eher wirtschaftspolitische Interessen, die auf alte Verbindungen aus der Zeit der DDR zurückgehen.
Nord Stream 2 endet in Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD-Ministerpräsidentin des nordöstlichen Bundeslandes, Manuela Schwesig, tut seit Jahren alles dafür, um den Bau der Pipeline zu sichern und zieht dabei mit ihrem Parteigenossen und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, einem persönlichen Freund von Wladimir Putin, an einem Strang.
Altkanzler im russischen Gasgeschäft
Schröder wechselte unmittelbar nach der verlorenen Bundestagswahl 2005 ins russische Gasgeschäft. Er ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Außerdem Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Kürzlich wurde Schröder noch für den Aufsichtsrat der russischen Gazprom nominiert.
Der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), vermutet Kalkül des Kremls hinter der Nominierung Schröders. Sie sei "als Schachzug Russlands zu sehen, die deutsche Regierung in ihrer Haltung zum Stopp von Nord Stream 2 als potenzielles Sanktionsmittel zu spalten und somit Deutschland insgesamt zu diskreditieren."
"Ich bin der Bundeskanzler!"
Bundeskanzler Olaf Scholz widerspricht solchen Vorwürfen vehement. In Washington sagte er gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN: "Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung. Ich bin jetzt der Bundeskanzler und die politischen Strategien Deutschlands sind jene, die Sie von mir hören."
"Nord Stream 2", das ist von Scholz aber weiterhin nicht zu hören. Der Kanzler begründet das damit, dass man nicht alle Sanktionsmöglichkeiten "auf den Tisch legen" wolle, "weil es notwendig ist, dass auch vonseiten Russlands verstanden wird: Da könnte noch viel mehr passieren, als sie sich vielleicht selber ausrechnen". Zudem ist man in Berlin der Meinung, dass Deutschland seine Vermittlerrolle beschädigen würde, wenn die Drohungen zu konkret würden.
Doch es gibt noch eine weitere Interpretation für Scholz' Lavieren. Sollten Sanktionen nötig werden, dann soll nicht allein Deutschland die Last tragen müssen. Was ist mit den USA, die Öl aus Russland beziehen? Diese Geschäfte müssten nach Ansicht der Deutschen dann auch zur Disposition stehen.