Fortschritte beim Freihandel und Rohstoffen
1. Februar 2023Am Ende gab es dann doch noch ein paar Irritationen. Weil sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva offenbar nicht auf eine gemeinsame Sprachregelung geeinigt hatten, als es um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ging, geriet die Abschlusspressekonferenz in Brasilia etwas durcheinander. Die ungewöhnlichen Dissonanzen wurden mit Umarmungen überspielt (siehe Artikelbild), sorgten aber dennoch für einige Schlagzeilen. Abseits der Ukraine-Debatte gelangen aus rein wirtschafspolitischer Sicht der deutschen Delegation in Argentinien, Chile und Brasilien ein paar wichtige Punktgewinne. Scholz konnte einige Türen aufstoßen oder neu öffnen. Was nun daraus wird, bleibt abzuwarten.
Tempo beim Freihandelsvertrag
Da ist zunächst einmal der EU-Mercosur-Freihandelsvertrag, über den seit zwei Jahrzehnten verhandelt wird. Lula da Silva kündigte an, er sei zuversichtlich, dass das Abkommen bis Mitte des Jahres unter Dach und Fach zu bringen sei. Das wollte der Bundeskanzler hören, der nach der geopolitischen Neuordnung auf der Suche nach neuen, alten Handelspartnern ist. Scholze hatte in Buenos Aires und Brasilia aufs Tempo gedrückt und wurde offenbar erhört. Die EU verhandelt mit dem Mercosur - ein Wirtschaftsverbund aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay - schon seit 1999 über ein Abkommen. 2019 wurde ein Durchbruch erzielt, dann aber stoppten die Europäer die Ratifizierung.
"Lula will Unausgewogenheit verringern"
"Das Abkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union wurde von Deutschland und Frankreich wegen der räuberischen Umweltpolitik der Regierung Bolsonaro zwischen 2019 und 2022 blockiert", hatte Professor Roberto Goulart von der Universität Brasilia in einem früheren Gespräch mit der DW gesagt. "Mit dem Regierungswechsel in Brasilien setzte Lula die Umweltpolitik an die Spitze seiner Prioritäten. Dies war ausschlaggebend für den deutschen Bundeskanzler und die anderen Mitglieder der Europäischen Union, die Verhandlungen über das Abkommen wieder aufzunehmen", so Goulart weiter.
Jetzt drücken beide Seiten aufs Tempo, denn das Fenster der Möglichkeiten kann sich auch schnell wieder schließen. Lula kündigte allerdings an, einige Punkte nachverhandeln zu wollen. "Die brasilianische Regierung ist der Ansicht, dass die Unausgewogenheit zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union verringert werden muss", so Goulart. Wo genau der Schuh drückt, werden die Europäer bald noch detaillierter erfahren. Aus Delegationskreisen in Brasilia war zu hören, dass Lula einige Umweltvorschriften zu hart seien.
Deutsche Landwirte zurückhaltend
Genau das sorgt beim Deutschen Bauernverband für einiges Unbehagen. "Die Handelspolitik der Bundesregierung neigt in besonderem Maße dazu, Fragen des Agrarhandels nachrangig gegenüber dem Handel mit Industrieprodukten zu gewichten", heißt es dazu in einem Positionspapier des Verbandes, dass der DW vorliegt. Anders ausgedrückt: Die deutschen Bauern befürchten, sie könnten zur Verhandlungsmasse verkommen und gegen eine mächtige brasilianische Agrar-Industrie mit niedrigeren Standards ins Hintertreffen geraten.
Berlin ist der Maschinenbau und die Industrie wichtiger. "Der Vertrauensvorschuss, dass die neue brasilianische Regierung die Einhaltung von Standards in den Bereichen Tierhygiene, Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Eigentumsfrage von Landbesitz auch vollumfänglich umsetzt, ist nicht ganz so groß", sagte Udo Hemmerling, Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV) im Gespräch mit der DW. Es habe auch in der Vergangenheit Verstöße gegen diese Standards gegeben.
Offene Türen in Argentinien und Chile
Zuvor war Scholz in Argentinien und Chile zu Gast. Hier ging es vor allem um die Rohstoffversorgung für die deutsche Wirtschaft. Beide Länder verfügen über Lithium, das für Akkus in E-Autos benötigt wird. Zudem hat Argentinien auch reichhaltige Gasvorkommen, es könnte also nach dem Ausfall Russlands als Zulieferer interessant werden.
In Santiago unterzeichneten beide Länder ein Kooperationsabkommen im Bergbaubereich. Bergbauministerin Marcela Hernando legte Wert darauf, dass die Zusammenarbeit den Fokus auf eine Nachhaltigkeit legt: "Beide Staaten sind sich einig, dass es für die weitere Entwicklung dieser Industrie notwendig ist, konkrete Schritte in Richtung eines nachhaltigen Bergbaus zu unternehmen, der die Gemeinden respektiert."
Mit dem Ansatz des deutschen Lieferkettengesetzes, dass eine nachhaltige Produktion von Beginn an garantieren soll, ist dies kompatibel. Ein Anfang ist damit gemacht, der schwierige Teil ist nun das ganze Papier auch mit Leben zu füllen. Die Zusammenarbeit soll unter anderem in den Bereichen Exploration, Gewinnung, Be- und Verarbeitung von Rohstoffen bis hin zur effizienten und nachhaltigen Mineralienverarbeitung mit Umwelttechnologien in Schmelzwerken führen.