Olaf Scholz: Vom schwierigen Regieren in der Zeitenwende
14. Juli 2023Der Andrang der Hauptstadtpresse ist groß, wenn sich der Bundeskanzler in Berlin mehr als eineinhalb Stunden lang befragen lässt. Die Sommerpressekonferenz hat Tradition. Schon Angela Merkel gab als Bundeskanzlerin einmal im Jahr Antworten auf aktuelle innen- und außenpolitische Fragen.
Die Lage ist nicht rosig für Olaf Scholz. Im September vor zwei Jahren wurde der Bundestag gewählt, jetzt ist Halbzeit für die Bundesregierung. Aktuell fällt die Bilanz für die Koalition von SPD, Grünen und FDP wenig schmeichelhaft aus. Drei von vier Deutschen sind mit der Arbeit der Bundesregierung weniger oder gar nicht zufrieden. Bereits seit Herbst 2022 hätte die Koalition bei Neuwahlen keine Mehrheit mehr. Die SPD, die den Bundeskanzler stellt, ist in Wählerbefragungen auf Platz drei hinter CDU/CSU und die in Teilen rechtsradikale AfD zurückgefallen. Die Zustimmungswerte für die Grünen sind so niedrig wie zuletzt vor fünf Jahren und der kleinste Koalitionspartner, die FDP, hat im Vergleich zur Bundestagswahl ein Drittel verloren.
Olaf Scholz - und wie er die Zukunft sieht
Das alles scheint den Kanzler wenig zu beeindrucken. "Ich stehe am Anfang meiner Tätigkeit als Bundeskanzler", sagt er, als er auf der Sommerpressekonferenz nach den Aussichten für die Bundestagswahl 2025 gefragt wird. Scholz war schon immer mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet. "Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten", fügt er hinzu und empfiehlt ganz grundsätzlich "mehr Gelassenheit". Dabei verzieht er keine Miene. Wie immer hat er sich und seine Emotionen fest im Griff.
Die Rechtspopulisten bezeichnet der Sozialdemokrat konsequent als "Schlechte-Laune-Partei", deren Zuwächse auf Krisen fußten. Deshalb sei es wichtig, dass die Regierung ihr "Modernisierungsprogramm" umsetze. "Alle Innovationen, die wir anstoßen wollen für unsere Volkswirtschaft vermitteln ja immer auch die Botschaft, es wird gut ausgehen für jeden Einzelnen." Das, davon ist der Kanzler überzeugt, entziehe der AfD ihre "Geschäftsgrundlage".
Olaf Scholz - der Besserwisser
Unbeirrt weitermachen und nie an sich zweifeln, das ist das Motto, mit dem der jetzt 65-jährige Jurist seit mehr als drei Jahrzehnten Politik macht. Oft erscheint Scholz besserwisserisch - vor allem, wenn ihm Fragen gestellt werden. Er lässt keine Zweifel an seiner Überzeugung, dass seine Politik zwingend logisch und damit richtig ist. Wenn jemand sie nicht versteht oder Einwände hat, kann er sehr herablassend werden. "Frau Präsidentin, wenn ich mich wirklich bemühen würde, die ganze aufgezählte Liste von nicht richtigen Behauptungen zu widerlegen, käme ich nicht mit der kurzen Zeit aus", sagte er vor der Sommerpause des Bundestags in einer Befragung durch Abgeordnete.
In der SPD nennen sie das souverän, für andere grenzt es an Überheblichkeit und Arroganz. Scholz beherrscht es perfekt, Fragen an sich abprallen zu lassen, antwortet oft verschachtelt, unkonkret und schwammig. Sein Ton ist stets ruhig und monoton, seine Sprache hat oft etwas roboterhaftes. Scholzomat nannten sie ihn dafür früher, ein Wortspiel aus Scholz und Automat. Dass er - wenn er will - auch anders kann, das zeigte er nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit seiner Rede zur "Zeitenwende" im Bundestag. In der SPD bedauern viele, dass es solche leidenschaftlichen Auftritte nicht häufiger gibt.
Panzer statt Windräder
Aus der Ruhe lässt sich Scholz auch in der Koalition nicht bringen. "Aufbruch und Fortschritt" hatte sie zum Amtsantritt versprochen und angekündigt, zentrale Vorhaben im Bereich Klimaschutz, Digitalisierung und wirtschaftliche Transformation zügig anpacken zu wollen.
Der Krieg in der Ukraine verschob die Prioritäten. Statt 400.000 Wohnungen pro Jahr und fünf Windräder pro Tag zu bauen, wurden 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr locker gemacht und weitere Milliarden darauf verwendet, Alternativen zum russischen Gas aufzutreiben und die Bürger massiv finanziell zu entlasten. Die Bundeswehr soll weiter gestärkt werden. Mit langfristig zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. So, wie es die NATO-Partner vereinbart haben. 2024 werde dies erstmals erreicht. "Das wird auch so bleiben, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist", verspricht Scholz.
Von scholzen und scholzing
Mehr als eine Million Flüchtlinge allein aus der Ukraine hat Deutschland 2022 aufgenommen. Das Land wird humanitär und eng abgestimmt mit den USA und der EU umfassend mit Waffenlieferungen unterstützt. Deutschland leiste nach den USA schon jetzt "die größte Unterstützung auch in militärischer Hinsicht", sagte Scholz in Berlin. "Wir haben einmal ausgerechnet, dass es seit Beginn des Krieges bis etwa 2027 17 Milliarden Euro sein werden, die wir aufwenden alleine für Waffenlieferungen aus Deutschland oder von Deutschland finanziert für die Ukraine."
Anfangs agierte der Kanzler zögerlich bei Waffenlieferungen, was ihm von vielen Seiten vorgeworfen wurde. Der britische Historiker Timothy Garton Ash sprach in einem Wortspiel von "scholzing" und übersetzte das mit: gute Absichten kommunizieren, nur um dann jeden vorstellbaren Grund zu erfinden, um diese hinauszuzögern und zu verhindern. Zwar sagt Scholz nach wie vor lediglich, dass die Ukraine nicht verlieren dürfe und nicht, dass sie gewinnen müsse. Aber grundsätzlich ist seine Haltung inzwischen klar.
China: De-Risking statt De-Coupeling
Noch nie war eine Bundesregierung innen- und außenpolitisch mit so vielen und so großen Problemen gleichzeitig konfrontiert. Gerade hat die Koalition ihre China-Strategie vorgelegt, mit deren Hilfe Deutschland wirtschaftlich weniger abhängig von dem Land werden soll. Deutsche Unternehmen reagieren skeptisch, der Kanzler versucht, zu beruhigen. "Es geht nicht darum, jetzt alle Investitionen, die im Ausland getätigt werden, einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen", so Scholz. Es gehe lediglich darum, "dass wir genau hingucken wollen, wenn es um Fragen geht, die für militärische Sicherheit und für Sicherheit insgesamt von Bedeutung sind".
Deutschland sei eine globale Volkswirtschaft, die mit der ganzen Welt verbunden sei. "Das ist unser Geschäftsmodell, dass die Unternehmen, ohne dass sie der Regierung jeden Tag Bescheid sagen, überall wirtschaftlich tätig sind. Das würde uns auch überfordern. Solche Ämter hätten wir gar nicht, mit denen wir diese Aufgaben bewältigen könnten."
Rivalität in der Ampel
Die Ampel meisterte das erste Regierungsjahr in erstaunlicher Einigkeit. Doch dann holten die parteipolitischen Rivalitäten das ungleiche Trio ein. Zu viel trennt sie. SPD und Grüne sind im Grundsatz linke Parteien, die einen Staat verfechten, der viel regelt und sozial Schwache unterstützt. Die wirtschaftsliberale FDP will möglichst wenig staatliche Eingriffe und propagiert die Eigenverantwortung des einzelnen Bürgers.
Je größer der Druck wird durch verlorene Wahlen in den Bundesländern und sinkende Umfragewerte, umso wichtiger wird es für die einzelnen Parteien, sich zu profilieren und sichtbar zu bleiben. Die Grünen wollen beim Klima- und Umweltschutz keine Kompromisse machen, die FDP hat stets den Markt und die Belange der Wirtschaft im Blick. Das führt zu Streit und der blockiert.
Wer bringt wen auf Kurs in der Koalition?
Ob es um die geplante Wärmewende in Deutschland geht, die mit einem Verbot von Gas- und Ölheizungen auf den Weg gebracht werden soll, um Einsparungen im Haushalt oder eine finanzielle Grundsicherung für Kinder: Die Koalition streitet. Die FDP beharrt darauf, ab 2024 keine neuen Schulden zu machen. Erreicht werden soll das über massiven Kürzungen im Haushalt, die Steuern für Reiche zu erhöhen, kommt für die Liberalen nicht in Frage.
Der SPD-Kanzler bleibt in den Streitereien oft unsichtbar und erntet dafür von vielen Seiten Kritik. Scholz schaue den Profilierungsversuchen der FDP tatenlos zu, heißt es bei den Grünen. Die FDP müsse auf Kurs gebracht werden, heißt es in der SPD.
Kanzler, nicht Cowboy
Doch Scholz bleibt Scholz. Er sei kein John Wayne, sagte er in einem ARD-Interview in Anspielung auf den Schauspieler, der oft den raubeinigen Westernhelden gab. Der sei vielleicht "das Standardmodell, das der ein oder andere super findet", wenn es um politische Führung geht. Starker Mann, einer allein gegen alle. Aber so funktioniere das nicht.
"Tatsächlich ist das hier eine Familie aus drei Parteien und über 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die alle eine Meinung zu all den Themen haben, wie wir unsere Zukunft gewinnen können." Ein autoritärer Papa wäre kein guter Ansatz für eine moderne Familie. In seiner unerschütterlichen Zuversicht geht der Kanzler aber davon aus, dass die Koalition wieder in ruhigere Fahrwasser kommt. Er habe den Eindruck, dass alle begriffen hätten, dass man viel abgearbeitet und gleichzeitig noch viel Arbeit vor sich habe. Er erwarte, dass in der Ampel nun "weniger laut" und schneller an Ergebnissen gearbeitet werde.