Olympia-Boykott der Ukraine vorerst vom Tisch
3. Februar 2023Das Nationale Olympische Komitee (NOK) der Ukraine hat sich am Freitag erneut scharf gegen eine Teilnahme russischer und belarussischer Sportler an internationalen Wettkämpfen und den Olympischen Spielen 2024 in Paris ausgesprochen. Die Entscheidung über einen zuvor ins Spiel gebrachten Boykott ist aber vorerst aufgeschoben.
Man sei entschlossen auf die Arbeit gegen eine Zulassung der russischen und belarussischen Sportler zu internationalen Veranstaltungen und zu Olympischen Spielen eingestellt, sagte Sportminister und NOK-Chef Wadym Hutzajt nach einer außerordentlichen Generalversammlung in Kiew. "Solange der Krieg dauert, solange unser Vaterland bombardiert wird, solange wir unsere Unabhängigkeit erkämpfen, unsere territoriale Unversehrtheit, können wir sie nicht sehen. Wir haben den großen Wunsch, sie so lange nicht zu sehen, wie der Krieg nicht mit unserem Sieg endet", betonte Hutzajt.
Erst wenn es trotz größter Anstrengungen nicht gelinge, einen Ausschluss von Russen und Belarussen zu erreichen, werde ein Boykott thematisiert. "Wenn wir alle (hart) daran arbeiten und alles dafür tun, doch es uns nicht gelingt, dann - das ist nur meine persönliche Meinung - müssen die Olympischen Spiele boykottiert werden. Doch diese Frage wird nur kollegial in einer außerordentlichen Sitzung unseres Nationalen Olympischen Komitees entschieden", erklärte der NOK-Chef.
IOC verurteilt Boykott-Pläne
Das vom deutschen Präsidenten Thomas Bach geführte Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte zuletzt eine Kontroverse mit der Ankündigung ausgelöst, Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus trotz des Krieges in der Ukraine Möglichkeiten zur Teilnahme an internationalen Wettkämpfen eröffnen zu wollen. Damit könnte diesen Sportlern auch der Weg zu den Spielen in Paris offen stehen, wenn auch nur unter neutraler Flagge.
Die daraufhin geäußerten Boykottgedanken aus der Ukraine hat das IOC umgehend verurteilt. "Es ist äußerst bedauerlich, diese Diskussion in diesem frühen Stadium mit einer Boykott-Drohung eskalieren zu lassen", hieß es. Frühere Boykotte hätten ihre Ziele verfehlt.
Für den Geschäftsführer der Athleten Deutschland, Johannes Herber, kommt "der Zeitpunkt, um über eine Wiederzulassung zu debattieren, zu früh". Das sagte Herber im Gespräch mit der DW. "Gerade jetzt, wo der Kriegszustand nicht nur nicht beendet wurde sondern noch schlimmer geworden ist."
Dennoch glaubt Herber nicht, dass es zu einem Boykott der Spiele 2024 durch deutsche Athletinnen und Athleten kommen würde: "Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen Athleten oder Athletin. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mir nicht vorstellen, dass viele Athleten aus Deutschland auf die Olympischen Spiele verzichten würden, sei es aus einem Protest heraus oder damit sie nicht gegen russische oder belarussische Athleten antreten müssen."
Athleten in der Zwickmühle
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich gegen eine Wiederzulassung der russischen und belarussischen Sportler ausgesprochen. Momentan sanktioniert das Ministerium deutsche Sportler, wenn sie bei Wettbewerben gegen russischen oder belarussische Athletinnen oder Athleten antreten, indem Förderungen eingestellt werden. Bestände diese Regelung auch noch im Sommer 2024, liefen Olympiateilnehmer Gefahr, Einschränkungen hinnehmen zu müssen.
Hierzu sagte Johannes Herber: "Natürlich müsste das Bundesinnenministerium diese Frage im Falle einer Wiederzulassung beantworten. Ich gehe aber davon aus, dass die Entscheidung so ausfällt, dass die deutschen Athletinnen und Athleten keinen Nachteil haben würden - schließlich können wir ja nichts dafür."
Generell fordere seine Athletenvertretung schon immer, "dass eine Diskussion darüber stattfindet, welche Voraussetzungen es für Staaten gibt, um Teil der olympischen Bewegung zu sein. Bei den letzten Winterspielen in China war es der Genozid, wir reden jetzt über den Angriffskrieg durch Russland, wir reden über iranische Sportlerinnen und Sportler, die von ihrem eigenen Regime verfolgt und an denen Exempel statuiert werden. Wenn jetzt die Athletinnen aus Belarus und Russland wieder zugelassen werden, dann ist diese Diskussion wieder vom Tisch, wenn ein Land ohne Konsequenzen die Werte und den olympischen Frieden mit Füßen treten kann".
Mehrheit für Wiedereingliederung
Jüngst haben Litauen, Lettland, Estland und Polen in einer gemeinsamen Erklärung den IOC-Vorstoß verurteilt. "Ich denke, dass in der kommenden Woche 40 Länder einen sehr festen und sehr klaren Standpunkt gegen Starts von Russen und Belarussen bei Olympia einnehmen werden", sagte Polens Sportminister Bortniczuk im polnischen Staatsfernsehen bei der Ankündigung einer Videokonferenz von Sportministern zahlreicher Nationen am 10. Februar. Bei seiner Erklärung ging Bortniczuk davon aus, dass sich neben den Mitgliedern der Europäischen Union und Großbritannien auch die USA gegen das IOC stellen würden.
Allerdings hatte Washington erst am Donnerstag klargestellt, den Kurs von IOC-Präsident Thomas Bach zu unterstützen. Michael Schirp, Pressesprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, geht davon aus, dass rund 90 Prozent der Nationalen Olympischen Komitees eine Wiedereingliederung von Belarus und Russland befürworten würden. Auch Deutschland, so Schirp gegenüber der DW, stände dem unter Auflagen nicht im Wege.
Invasion kurz nach den Winterspielen
Russland war am 24. Februar, nur drei Tage nach der Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking, in die Ukraine einmarschiert und hatte damit auch den Olympischen Frieden verletzt, der bis nach Ende der Paralympischen Spiele gilt. Das IOC empfahl daraufhin den internationalen Verbänden den Ausschluss der Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus. Auch internationale Sportveranstaltungen sollten beiden Ländern entzogen werden. Schon 2014 hatte Russland - damals kurz nach den Winterspielen in Sotschi - die Krim, die zum Staatsgebiet der Ukraine gehört, annektiert.