Hamburg wird nicht olympisch
30. November 2015Die Bürger der Hansestadt haben sich in ihrem Referendum nach einem Kopf-an-Kopf-Entscheid gegen Olympische und Paralympische Spiele 2024 in Hamburg ausgesprochen - und damit der Bewerbung den Garaus gemacht. 51,6 Prozent der Hamburger wollen das größte Sport-Spektakel nicht in ihrer Stadt sehen, 48,4 Prozent waren dafür, die Wahlbeteiligung lag bei 50,1 Prozent. Insgesamt wurden 651.589 Stimmen abgegeben. Im geplanten Segelstandort Kiel gab es dagegen eine klare Mehrheit pro Olympia von knapp 66 Prozent.
"Ich hätte mir eine andere Entscheidung gewünscht"
"Hamburg wird sich nicht um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele bewerben. Ich hätte mir eine andere Entscheidung gewünscht, aber sie ist klar, und das Ergebnis ist zu akzeptieren", sagte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, als er um Punkt 21.00 Uhr im Rathaus vor die Presse trat. Der Präsident des Deutschen Olympischen-Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, stand neben ihm, die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Für Sportdeutschland ist das Ergebnis ein herber Tief- und Rückschlag. Wir sind mit Hamburg aufgebrochen, um Sportdeutschland neue Perspektiven zu geben - diese Chance für die nächste Generation ist nun nicht gegeben."
Eine zeitnahe erneute Bewerbung für künftige Spiele hält Hörmann aktuell für nicht realistisch. "Wenn man es es nüchtern sieht, kann man nur festhalten, dass mit einer Bewerbung aus Deutschland auf absehbare Zeit nichts wird", sagte er: "Offensichtlich passen der olympische Gedanke und Deutschland im Moment nicht zusammen." Auch DOSB-Vorstandschef Michael Vesper, der starke Mann im Verband, gestand die Niederlage ein, gab sich aber noch kämpferisch: "Im ersten Moment sagt man, jetzt ist auf Jahrzehnte keine Olympiabewerbung in Deutschland möglich. Aber darüber denken wir noch mal nach."
"Aus der Mottenkiste"
Ganz anders fiel selbstredend die Reaktion der Olympia-Gegner aus. Mit großer Erleichterung nahmen die Mitglieder der Initiative NOlympia das gescheiterte Referendum auf. "Wir würden davon abraten, in vier Jahren dieses gescheiterte Konzept noch einmal aus der Mottenkiste zu holen", sagte NOlympia-Mitglied Florian Kasiske dem Sport-Informationsdienst (SID). Das "Nein" der Hamburger stehe nicht im Zusammenhang mit den Terroranschlägen von Paris, vielmehr "ging es tatsächlich um Stadtpolitik", sagte Kasiske: "Viele Menschen kommen gerade in diese Stadt und müssen in Zelten übernachten, und für die muss das Geld da sein." Ein Grund, weshalb die Hamburger gegen die Bewerbung stimmten, seien die hohen Kosten gewesen.
Tatsächlich hatten die Olympia-Gegner gerade in den letzten Wochen Boden gut gemacht. Nachdem die Bewerbungskampagne mit Unterstützung der Hamburger Wirtschaft und der ausgesprochenen Sympathie von Bürgermeister Scholz gut gestartet war, machten jüngste Ereignisse den Möchtegern-Olympioniken das Leben schwer und schwerer: die Flüchtlingskrise, die Korruption in Welt-Sportverbänden, zuletzt der Terror von Paris. Dass nun ausgerechnet die französische Hauptstadt die Favoritenrolle für 2024 übernehmen kann - geschenkt. Und dass die Bundesregierung mit ihren unklaren Finanzierungszusagen das ihre zur Niederlage beitrug - nun ja. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Abend in der ARD, er bedauere die Ablehnung. "Olympia in Hamburg wäre eine tolle Chance gewesen. Es ist sehr schade. Man wird nun überlegen, woran es gelegen hat", sagte der CDU-Politiker. "Wir hätten alles daran getan, es finanziell zu stemmen. Der Bund hätte Hamburg unterstützt, wenn auch nicht so, wie sich Hamburg das vorgestellt hatte."
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit dem Deutschen Thomas Bach an der Spitze bezeichnete das Ergebnis des Referendums als "nicht ganz überraschend", bedauerte es aber. "Mit dieser Entscheidung geht eine große Chance für die Stadt, das Land und den deutschen Sport verloren", sagte ein IOC-Sprecher am Sonntagabend: "So hätte das IOC 1,7 Milliarden US-Dollar zum Erfolg der Spiele beigesteuert, die im Vergleich zu 1,2 Milliarden Euro stehen, die die Stadt investiveren wollte."
Den DOSB stürzt das Votum in die wohl schwerste Krise seiner Geschichte. Gilt die Absage doch zugleich als Schlappe für die Spitzensport-Förderung in Deutschland. Und der Verband kann sich künftig mit so unappetitlichen Themen wie Doping-Bekämpfung herumschlagen. Im Rathaus der Hansestadt wurde die Stimmung im Laufe des Abends entsprechend des Wahlverlaufs immer gedrückter, ebenso auf der Promi-Veranstaltung in der Barclaycard-Arena. Die Hamburger sorgten am Sonntag für die siebte gescheiterte deutsche Bewerbung seit der Kampagne von Garmisch-Kampagne für 1960. Erst Ende 2013 hatten die betreffenden Gemeinden den Winterspielen "München 2022" einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht.
"Einen entscheidenden Schub für den deutschen Sport auf allen Ebenen" hatte sich DOSB-Boss Hörmann erhofft. Daraus wird nun nichts. Die Mitgliederversammlung am kommenden Samstag in Hannover dürfte einer Trauerveranstaltung gleichkommen.
ml/haz (dpa,rtr,SID)