OPAL-Pipeline verärgert Warschau
14. April 2017Schon bei der Nord-Stream-Pipeline, die seit 2011 das russische Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland transportiert, war Polen skeptisch und fühlte sich übergangen. Das Projekt wirft bis heute seine Schatten auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Doch auch das Anschlussprojekt hat es in sich. Die OPAL-Leitung (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) - seit Mitte 2011 in Betrieb - zieht sich von der Ostsee entlang der deutsch-polnischen Grenze Richtung Süden und verbindet so Nord Stream mit dem europäischen Erdgas-Fernleitungsnetz. So wird das russische Gas nach Tschechien und Richtung Westen transportiert. Über Tochterfirmen gehört OPAL den deutschen Firmen Wintershall und E.ON sowie dem russischen Energieriesen Gazprom.
Obwohl es die europäischen Wettbewerbsregeln nicht erlauben, dass Firmen, die mit Gas handeln, gleichzeitig den Zugang zu Gas-Pipelines kontrollieren, haben es die Anteileigner von OPAL doch geschafft, von Beginn an Sonderkonditionen zu erhalten. So erlaubten die EU-Kommission und die deutsche Bundesnetzagentur der Gazprom im Jahr 2009, die Hälfte der Kapazitäten zu nutzen. Damals protestierte Polen noch nicht.
Die andere Hälfte der Kapazitäten war für Mitbewerber vorgesehen. Doch weil die ausblieben, beantragte Gazprom weitere Mengen für sich. Im Mai 2016 kam es zu einem neuen Vergleichsvertrag zwischen der Bundesnatzagentur, Gazprom und dem Pipeline-Betreiber. Ende Oktober stimmte die EU-Kommission der Erhöhung der Kapazitäten unter Auflagen zu.
Abhängig vom russischen Gas
Damit darf Gazprom die OPAL-Leitung bis zu 90 Prozent nutzen. Die Voraussetzung: Die zusätzlichen Kapazitäten sollten auf Auktionen angeboten werden. Experten sehen darin aber ein Problem und deuten auf die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. "Ursprünglich sollte sie vermindert werden. Doch mit dieser Entscheidung wird das Gegenteil erreicht", sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Kirsten Westphal, Energieexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, weist darauf hin, dass "sobald es neue Interessenten gibt, Gazprom keine Chance mehr hätte". Das Problem sei aber, dass sich bei der ersten und bisher einzigen Kapazitäten-Auktion im Dezember 2016 gar keine anderen Interessenten meldeten. Ob es sie in Zukunft geben wird, weiß niemand. Der Pipeline-Betreiber OPAL Gastransport wollte sich auf Anfrage der DW dazu nicht äußern.
Polen als "blinder Kläger"
Polen ging juristisch gegen die EU-Entscheidung vor. Anfang Dezember 2016 legte der staatlich kontrollierte polnische Energieversorger PGNiG Beschwerde beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg ein. Unabhängig davon klagte auch die polnische Regierung. Gleichzeitig ging der polnische Energieversorger auf einer anderen Ebene gegen die neue Pipelinenutzung vor und klagte gegen den OPAL-Vergleichsvertrag vor dem zuständigen Oberlandesgericht (OLG) in Düsseldorf.
Doch schon die Klage vorzubereiten war nicht einfach, da die EU-Kommission ihren Beschluss vom Oktober 2016 zunächst nicht veröffentlichen wollte. Der polnische Konzern musste also "blind" klagen. "Unsere Klage haben wir auf der Grundlage einer Pressemitteilung vorbereitet", so ein PGNiG-Sprecher. Die EU-Kommission rechtfertigt die späte Veröffentlichung mit Vorschriften und dem "Schutz sensibler geschäftlicher Informationen".
Ende 2016 stoppte das Luxemburger Gericht vorläufig die Entscheidung der EU-Kommission zu der Erhöhung der Transport-Kapazitäten durch OPAL für die russische Gazprom, ein Urteil soll im Sommer 2018 gesprochen werden. Eine Woche später entschied ähnlich auch das OLG in Düsseldorf, so dass auch der Vergleichsvertrag zwischen Gazprom und dem Pipeline-Betreiber vorerst nicht rechtskräftig wird.
Das Geschäft läuft weiter
All die juristischen Streitereien haben aber nicht verhindert, dass um die Jahreswende durch die beiden Pipelines OPAL und Nord Stream eine Rekordmenge an russischem Gas geflossen ist. Die Auslastung der OPAL-Leitung näherte sich der 100-Prozent-Marke.
In Polen sprach man daraufhin von der "Missachtung gerichtlicher Entscheidungen". Die Bundesnetzagentur entgegnet, die Zunahme sei eine Folge der Dezember-Auktion. Die OLG-Entscheidung betreffe hingegen nur zukünftige Versteigerungen und könne nicht auf die bereits stattgefundenen angerechnet werden.
Wovor hat Polen Angst?
Die Kritiker der polnischen Sicht sagen, das Land hätte sich längst an Nord Stream anschließen können, wollte es aber nicht. Aus der Sicht von Warschau geht es aber nicht nur um die russische Dominanz auf dem Energiemarkt, sondern auch um die Stabilität der Ukraine, die am Gastransfer verdient. Über das Land verläuft die Pipeline Transgas. Ihre Auslastung würde schrumpfen, wenn mehr von diesem Rohstoff über OPAL fließen würde, so die Befürchtungen.
Diese Entwicklung ist bereits sichtbar: Als Gazprom die Lieferungen über die Nord-Stream-Pipeline und OPAL erhöhte, sank der Transfer über die Ukraine laut dem ukrainischen Konzern Naftogas um ein Fünftel. Auch Kirsten Westphal sieht weitere Risiken für den Transit über die Ukraine. Nicht nur wegen Nord Stream, sondern auch wegen des neuen russisch-türkischen Projektes Turk Stream. Mit dieser Gaspipeline soll das russische Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei geleitet und so die Ukraine umgangen werden.
Dissonant über die Energiesicherheit
Hinzu kommt, dass die es unterschiedliche Interpretationen des Begriffs Energiesicherheit gibt. Die EU-Kommission und Deutschland verfolgten einen Ansatz, bei dem "mehr Gasimporte aus Russland und mehr direkte Verbindungen auch mehr Energiesicherheit bedeuten würden", erklärt Agata Łoskot-Strachota, Expertin des Zentrums für Ostforschung (OSW) in Warschau.
Nicht nur Polen ist gegen diesen Ansatz, sondern auch einige andere Länder Mitteleuropas. So wie die Ukraine oder Litauen, die die Abhängigkeit vom russischen Gas als eine "Risikoquelle" sehen. "Diese Länder suchen nach Möglichkeiten, Quellen und Wege zu diversifizieren", fügt Łoskot-Strachota hinzu. Je mehr an russischem Gas über Nord Stream und OPAL fließt, desto schwerer wird es sein, alternative Gasprojekte zu realisieren, wie beispielsweise den von Polen beworbenen Import über eine künftige Leitung (Baltic Pipe) aus Norwegen oder die verstärkte Zufuhr von Flüssiggas (LNG) über das neue polnische Terminal Świnoujście (Swinemünde).
Zunächst warten alle auf das Ende des Streits um OPAL. Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wird voraussichtlich noch bis August 2018 laufen, so der Sprecher des EuGH. Inzwischen steht Polen in diesem Streit aber nicht ganz allein. Ende März hat der ukrainische Energiekonzern Naftogas beim EuGH eine ähnliche Klage wie Polen gegen die EU-Kommission eingereicht.