Operation gegen Jahresgehalt
20. Juni 2003Seit zwei Jahren arbeiten die deutschen Ärzte Silke und Eckehard Scharfschwerdt im Bezirkskrankenhaus in Heqing. Sie seien schon erstaunt darüber gewesen, wie schnell die Anordnungen aus Peking in Sachen SARS in der Provinz bei ihnen angekommen seien, sagen sie. Es gab finanzielle Unterstützung, im Krankenhaus wurde eine Isolierstation eingerichtet, Schutzanzüge wurden genäht. "Auch vom Logistischen hat das ganze Land profitiert," erklärt Eckehard Scharfschwerdt, "weil man sich zum ersten Mal in so großer Dimension Gedanken darüber machen musste, wie man mit einer Seuche umgeht." Das betraf die Kontrollmaßnahmen ebenso wie die Kommunikationswege vom Gesundheitsministerium bis hinab zu den kleinsten medizinischen Versorgungseinheiten. Am Anfang, so gibt der Anästhesist zu, seien Fehler gemacht worden. Die Weltgesundheitsorganisation habe zum Beispiel keine Zahlen bekommen. Aber schon nach kurzer Zeit sei alles getan worden, was in einem Land mit begrenzten finanziellen Mitteln möglich sei.
160 Mitarbeiter hat das Krankenhaus in Heqing, Verwaltungsangestellte und Putzfrauen eingeschlossen. Sie können maximal 150 Patienten betreuen – so viele Betten gibt es. Aber meistens sind nur die Hälfte belegt. In den anderen schlafen die Angehörigen. Sie pflegen die Kranken und versorgen sie mit Essen. Das reduziert die Kosten.
Opa operieren lassen oder das Geld lieber sparen?
Die chinesische Regierung, sagt Eckehard Scharfschwerdt, möchte zwar eine Krankenversicherung aufbauen, aber für 1,3 Milliarden Menschen sei das nicht so einfach. So muss eine vierköpfige Familie für eine einfache Blinddarmoperation ihr Jahreseinkommen opfern. Und wenn der Patient schon älter sei, so der Arzt, "dann überlegt die Familie doch manchmal: Lohnt sich das jetzt noch, wollen wir für den Opa noch die Operation bezahlen, oder sagen wir, das versuchen wir mal, mit Tabletten zu behandeln."
Notfallpatienten bekommen die Erstversorgung auch schon mal kostenlos, aber alle geplanten Operationen müssen auch bezahlt werden. Das Krankenhaus muss sich selbst finanzieren. Ständige Ausnahmen, sagt Silke Scharfschwerdt, würden das ganze System durcheinander bringen. Die Menschen helfen sich dafür gegenseitig. So hat zum Beispiel einmal fast die ganze Schule das Geld für eine Lehrerin gesammelt, die eine größere Operation in der nächst größeren Stadt brauchte.
Fortschritte in den vergangenen Jahren
Seit zwei Jahren sind die beiden Deutschen in Heqing, und seitdem, sagt Eckehard Scharfschwerdt, habe sich schon einiges geändert. Ihre Aufgabe im Bereich der Notfallmedizin ist es auch, Kollegen und Krankenschwestern auszubilden, und das ist auch nötig. "Als wir kamen," erzählt der Anästhesist, "war fast nichts vorhanden." Der Krankenwagen sei fast nie zu Patienten rausgefahren, einen Patienten intubieren oder beatmen konnten die Ärzte nicht. Operationen wurden meist mit einer Rückenmarksanästhesie durchgeführt. Silke und Eckehard Scharfschwerdt brachten den chinesischen Ärzten bei, eine Vollnarkose anzulegen. Das sei zum Beispiel bei schweren Bauchoperationen besser: Der Patient spüre garantiert keine Schmerzen und auch der Kreislauf könne nicht so leicht kollabieren.
Inzwischen können im Bezirkskrankenhaus von Heqing Patienten nach der Erstversorgung auch weiter behandelt werden, die Fähigkeiten der Ärzte und Krankenschwestern hätten sich verbessert, erklären die beiden Deutschen. Denn die Ausbildung unterscheidet sich von der in Deutschland. Zunächst werden die Mediziner fünf Jahre an der Universität ausgebildet, ihre Kompetenz in einem bestimmten Fachgebiet erwerben sie sich aber erst in der Zusammenarbeit mit erfahrenen Ärzten. Danach arbeiten sie in diesem Bereich – meistens in einem Krankenhaus. Niedergelassene Ärzte gibt es in China kaum.
Weniger Geräte aber mehr Kollegialität
Die chinesischen Ärzte sind also auf praktische Erfahrungen und Fortbildungen angewiesen. Doch das heißt nicht, so betont Eckehard Scharfschwerdt, dass sie schlechtere Ärzte seien. Natürlich gebe es meistens weniger medizinische Geräte in chinesischen Krankenhäusern, alles sei einfacher. Aber sich bei der Diagnose auf seine eigenen Sinne zu verlassen, sei nicht immer ein Nachteil, erklärt er. Da könne man von den chinsesischen Ärzten einiges lernen, genauso wie von der chinesischen Medizin – wie es bei der Akupunktur schon geschieht – und der Wirkung vieler Heilkräuter. Und außerdem würden die Kollegen im Krankenhaus wesentlich freundlicher miteinander umgehen, als in Deutschland.