Opferzahlen in Haiti nach oben korrigiert
4. Februar 2010Man müsse jetzt mit mehr als 200.000 Todesopfern rechnen, teilte Premierminister Jean-Max Bellerive am Mittwoch (03.02.2010) in Port-au-Prince mit. In den jüngsten Schätzungen seien aber noch nicht die Opfer enthalten, die noch immer unter den Trümmern vermutet werden. Auch diejenigen, die von ihren Verwandten bestattet wurden, seien nicht darunter. Damit korrigierte der Regierungschef die bislang offizielle Schätzung zwischen 170.000 und 200.000 Toten nochmals nach oben.
Die Regierung geht zudem von mehr als 300.000 Verletzten aus. Etwa 4000 Erdbeben-Opfer verloren durch das Unglück einen Arm oder ein Bein oder mussten amputiert werden. 250.000 zerstörte Häuser wurden gezählt. Mehr als eine Million Menschen sind obdachlos und leben weiterhin in Notlagern auf der Straße.
Opposition fordert Notstandsregierung
Unterdessen wächst unter den Betroffenen die Kritik an der zögerlichen Reaktion der Regierung auf das verheerende Erdbeben vor drei Wochen. In Pétion-Ville, einem Stadtteil von Port-au-Prince, demonstrierten etwa 300 Menschen vor dem Rathaus und beschuldigten die Bürgermeisterin der Korruption. Sie soll Lebensmittelgutscheine ausländischer Hilfsorganisationen verkauft haben, statt sie gratis abzugeben.
Oppositionelle Senatoren fordern, eine Notstandsregierung einzusetzen. Es müsse dringend ein Wiederaufbauplan verabschiedet werden, forderten sie bei ihrem ersten Treffen mit dem Premier seit der Katastrophe. Bislang habe sich die Regierung als unfähig erwiesen. Der Regierungschef räumte ein, dass sämtliche Nothilfe von ausländischen Hilfsorganisationen gewährleistet werde. Er appellierte an die Organisationen, ihre Hilfe untereinander besser abzustimmen.
Auf Wunsch der Vereinten Nationen wird der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die Koordination aller internationalen Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen in Haiti übernehmen. Das verlautete nach einem Treffen zwischen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Clinton in New York. Die neue Aufgabe werde enorme Herausforderungen mit sich bringen und außergewöhnliche Anstrengungen erfordern, erklärte ein UN-Sprecher. Der Ex-Präsident war schon vor dem verheerenden Erdbeben vor drei Wochen als UN-Sondergesandter in Haiti tätig.
Ausbruch von Seuchen befürchtet
Wegen der ansteigenden Seuchengefahr starteten Hilfsorganisationen eine Massenimpfung in der Erdbebenregion. Etwa 700.000 Menschen in etwa 500 provisorischen Lagern sollen gegen Masern, Tetanus und Diphtherie geimpft werden, darunter auch 140.000 Kinder. Die Verteilung von Lebensmitteln läuft nach Informationen aus dem Krisengebiet besser. Nur gelegentlich komme es zu Verzögerungen, sagte eine Mitarbeiterin der Welthungerhilfe in Port-au-Prince.
An mehreren Orten Haitis weigerten sich Eltern, ihre Kinder in die wiedereröffneten Schulen zu schicken. Sie fordern eine Begutachtung der Gebäude durch Experten. Beschädigte Gebäude könnten bei einem Nachbeben leicht einstürzen. Die Regierung hatte die Wiederaufnahme des Schulunterrichts in acht Départements angeordnet, die von dem Beben verschont geblieben waren. Das Bildungsministerium geht davon aus, dass 75 Prozent der Schulen beschädigt wurden.
Zwielichtige Adoptionspraktiken
Angesichts zwielichtiger Adoptionspraktiken nach dem Erdbeben haben Sachverständige eine strengere Kontrolle verlangt. So sprach sich der Direktor der Caritas Haiti, Bischof Pierre Dumas, für eine unabhängige Adoptions-Kommission aus. Damit solle Menschenhändlern ihr kriminelles Handwerk erschwert werden, forderte Dumas. Alle Kinder müssten vor einer Adoption zweifelsfrei identifiziert werden.
Die haitianische Staatsanwaltschaft will kurzfristig entscheiden, ob sie gegen zehn US-Bürger Anklage wegen Kindesentführung erhebt. US-Außenministerin Hillary Clinton sprach von einer "unglücklichen" Angelegenheit. Bei den Verdächtigen handelt es sich um eine Gruppe von US-Baptisten, die 33 haitianische Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und 14 Jahren ohne Genehmigung außer Landes bringen wollten. Sie wurden in der vergangenen Woche an der Grenze zur Dominikanischen Republik festgenommen.
Die für Ende Februar geplanten Parlamentswahlen in Haiti wurden inzwischen offiziell verschoben. Ein neues Datum steht aber noch nicht fest. Die Gebäude der Wahlkommission waren ebenso wie zahlreiche Regierungsgebäude bei dem Erdbeben vor drei Wochen stark beschädigt worden. Die Regierung berät über einen Vorschlag, das Mandat der Abgeordneten und Senatoren um zwei Jahre zu verlängern. Präsident René Préval und sein Kabinett tagen derzeit in einem Polizeigebäude nahe dem Flughafen.
Autor: Herbert Peckmann (dpa, afp, rtr, kna)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot