Oppositionsführer Ghannouchi in Tunesien erneut verurteilt
1. Februar 2024Der Richter befand Rached Ghannouchi für schuldig, illegale Finanzhilfen aus dem Ausland für die Partei angenommen zu haben. Das teilte Monia Bouali, die Anwältin des scharfen Kritikers von Staatspräsident Kais Saied, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters mit. Die Juristin fügte hinzu, dass das Gericht auch Ghannouchis Schwiegersohn Rafik Abdessalem, ebenfalls ein hochrangiger Ennahda-Funktionär, im selben Verfahren zu drei Jahren Haft verurteilt habe. Außerdem müsse die islamistische Partei eine Geldstrafe von 1,1 Millionen Dollar (umgerechnet rund eine Million Euro) zahlen.
Im Mai 2023 hatte ein Gericht in Tunesien den ehemaligen Parlamentspräsidenten Ghannouchi wegen Aufwiegelung gegen die Polizei zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem dieser davor gewarnt hatte, dass die Ausrottung abweichender politischer Ansichten zu einem "Bürgerkrieg" führen könnte. Der 82-Jährige ist der prominenteste von rund zwei Dutzend Gegnern von Staatschef Kais Saied, die seit Februar verhaftet wurden, darunter ehemalige Minister und Wirtschaftsvertreter. Sie wurden beschuldigt, sie hätten eine Verschwörung gegen den Staat vorbereitet. Ghannouchi hatte vor der Revolution von 2011 im Exil gelebt. Von 2019 bis 2021 war er Sprecher des Parlaments.
Ausnahmezustand abermals verlängert
Erst am Dienstag hatte Präsident Saied den Ausnahmezustand in dem nordafrikanischen Land um weitere elf Monate bis zum Jahresende verlängert. Dies ging aus dem Amtsblatt hervor. Der Ausnahmezustand wurde ursprünglich 2015 verhängt und seitdem mehrfach verlängert.
Die Ennahda-Partei stellte die meisten Abgeordneten im tunesischen Parlament, bis Präsident Saied im Juli 2021 mithilfe eines Notstandsartikels der Verfassung den bisherigen Regierungschef Hichem Mechichi absetzte, die Arbeit des Parlaments unter dem Vorsitz von Ennahda-Chef Ghannouchi aussetzte und die Immunität der Abgeordneten aufhob. Danach wurden die Büros der Partei im ganzen Land geschlossen.
Der Staatschef trieb zudem eine Verfassungsänderung voran, die ihm deutlich mehr Macht verleiht. Das neue Parlament kann infolge der Verfassungsreform den Präsidenten nicht mehr absetzen, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ist praktisch unmöglich geworden.
Saied begründete sein umstrittenes Vorgehen mit der jahrelangen Krise in Tunesien. Der Präsident bezeichnete seine Kritiker als Kritiker als Kriminelle, Verräter und Terroristen und warnte, dass jeder Richter, der sie freilasse, als ihr Komplize angesehen würde. Kritiker des Staatschefs sprechen hingegen von einem Staatsstreich. In Tunesien hatte 2011 der sogenannte Arabische Frühling seinen Anfang genommen, der große Hoffnungen auf eine Demokratisierung der Region geweckt hatte.
kle/jj (rtr, afp, epd)