Orban fährt seinen Kritikern über den Mund
10. Dezember 2019Die Opposition im ungarischen Parlament konnte nur zusehen, wie die regierende Fidesz-Partei Gesetz um Gesetz verabschiedete - und damit die Rechte der übrigen Abgeordneten beschnitt. Eines davon kritisierten sie als "Maulkorb-Gesetz", da es den Mandatsträgern jeden Protest im Parlamentsgebäude verbietet. Andernfalls kann der Parlamentsvorsitzende künftig hohe Geldbußen gegen Abgeordnete verhängen oder sie von Sitzungen ausschließen. Ein anderes Gesetz schränkt den Zugang von Oppositionsabgeordneten zu öffentlichen Einrichtungen wie Ministerien ein.
Gegenschlag nach Wahlschlappe
Bei den jüngsten Kommunalwahlen im Oktober hatte die rechtsnationale Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban herbe Niederlagen erlitten, unter anderem verlor sie die Macht in den Rathäusern der Hauptstadt Budapest und zehn weiterer Städte. Zum Teil hatte die Opposition Bündnisse gegen Fidesz gebildet. In den umfangreichen Gesetzesnovellen wird diese Strategie nun verboten. Außerdem werden Kommunen engere Richtlinien auferlegt, wie sie mit Steuergeldern umgehen sollen. Beobachter halten die Gesetzespakete für den massiven Gegenschlag als Reaktion auf den kommunalen Machtverlust - die Gesetze wurden ohne Beratung oder Bewertung möglicher Folgen durchs Parlament gebracht.
Gleichschaltung statt Kunstfreiheit
Eines der umstrittensten Gesetze soll am Mittwoch verabschiedet werden: Die Regierung will einen "Nationalen Kulturrat" einberufen, der die "fachliche Basis für die strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung gewährleisten" soll. Sprich: Gleichschaltung statt Freiheit der Künste. Unter anderem soll der zuständige Minister künftig jedem Wechsel in der Intendanz staatlich geförderter Theater zustimmen. Bisher lag die Entscheidungshoheit allein bei den Kommunen.
Eine frühere Fassung des Gesetzes war in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gelangt und hatte massive Proteste der Kulturszene ausgelöst. Die Version, die nun zum Beschluss vorgelegt wurde, unterscheidet sich in einigen Punkten: Ein Gremium, das über Fördermittel entscheidet, soll nun doch nicht abgeschafft werden. Die "grundlegende Erwartung", dass Kulturschaffende "die Interessen des Erhalts, des Wohlergehens und des Gedeihens der Nation aktiv schützen", bleibt jedoch bestehen.
Eklat bei Brüsseler "Hexenjagd"
Auch der ungarischen Justiz droht durch die jüngsten Gesetzesänderungen noch einmal mehr Einflussnahme, befürchten Kritiker. Wegen vorangegangener Justizreformen läuft in Brüssel bereits ein Strafverfahren. Auch dort wird der Ton rauer: Ungarns Justizministerin Judit Varga bezeichnete die Anhörungen als "Hexenjagd". Sie forderte, das Verfahren, das auf "falschen Anschuldigungen" beruhe, zu beenden. Orbans Regierung wird vorgeworfen, systematisch die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit und Schutzrechte von Minderheiten und Flüchtlingen auszuhöhlen. Nach mehreren Vertragsverletzungsverfahren könnte das von der EU-Kommission eingeleitete Strafverletzungsverfahren am Ende Ungarn das Stimmrecht im Europäischen Rat entziehen.
Der Rat sprach Ungarn nach der jüngsten Anhörung noch eine formelle Rüge aus: Orbans Regierungssprecher Zoltan Kovacs hatte aus der nicht-öffentlichen Sitzung getwittert. Er schrieb unter Anspielung auf den jüdischen US-Milliardär George Soros, um den die Regierung in Budapest immer wieder die Verschwörungstheorie einer verdeckten Machtübernahme baut: "Soros-Orchester ist dabei, die Bühne zu betreten." Später schickte er einen Tweet hinterher, in dem er dem "Soros-Orchester" unter den Europaministern vorwarf, die EU in "ihren von Ideologie getriebenen politischen Kampf" zu ziehen.
Die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen, deren Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte: "Jeder antisemitische Akt muss auf die schärfste mögliche Weise verurteilt werden." Auch der Bruch der Vertraulichkeit der Sitzung sei "eine ernste Angelegenheit". Der Staatsminister im deutschen Auswärtigen Amt, Michael Roth, antwortete Kovacs direkt auf Twitter: Er sei leider kein Musiker, sondern ein Politiker, der europäischen Werten verpflichtet sei.
ehl/rb (afp, dpa)