Orbans Triumph - das Elend der Opposition
9. April 2018Einige Wochen lang hatte die ungarische Opposition gelebt wie in einem Traum - optimistisch und voller Hoffnung, sie könne Orban und seine Partei Fidesz in der Parlamentswahl besiegen. Umfragen ungarischer Meinungsforschungsinstitute hatten lediglich eine einfache Mehrheit für Orban und Fidesz vorausgesagt und eine Wechselstimmung in der Bevölkerung ausgemacht; zuletzt wünschte sich eine knappe Mehrheit der ungarischen Wähler einen Regierungswechsel.
Doch am Sonntag kam für die ungarische Opposition das böse Erwachen. Entgegen der Erwartungen gewannen Orban und Fidesz nicht nur haushoch, sondern konnten sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine neue Zwei-Drittel-Mehrheit sichern. Es ist für Orban der dritte Wahlsieg in Folge und, falls es bei dem vorläufigen Ergebnis bleibt, auch der dritte Sieg mit Zwei-Drittel-Mehrheit.
Sein beispielloser Triumph ist zugleich die bitterste Niederlage für die Opposition in den letzten acht Jahren. Und das war dieser in der Nacht zum Montag auch anzusehen: Bei ihren Pressekonferenzen wirkten die Parteiführer und Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien nicht nur zutiefst enttäuscht, sondern in ihrer Mischung aus persönlicher Zerknirschtheit, verzweifelter Ursachensuche und Vorwürfen an die Adresse Orbans auch weitgehend desorientiert.
Uneinig, schwach, besiegt
Die Niederlage der Opposition hat viele Gründe; an den meisten trägt sie selbst eine Mitschuld. Da ist zum einen das Wahlsystem, das Beobachter als "frei, aber unfair" bezeichnen. Es bevorzugt große Parteien wie Fidesz, weil von 199 Parlamentsabgeordneten 106 Direktkandidaten nach dem Mehrheitsprinzip gewählt werden. Gegen Fidesz, Ungarns einzige Großpartei, noch dazu eine mit einem äußerst stabilen und diszipliniertem Wählerlager, gab es daher nur die Chance, mit gemeinsamen Kandidaten anzutreten. Genau das geschah in vielen Wahlkreisen nicht. So konnte dort der Fidesz-Kandidat gewinnen, obwohl die Oppositionskandidaten zusammen genommen auf mehr Stimmen kamen. In Budapest beispielsweise hätte die Opposition sämtliche 18 Wahlkreise gewinnen können - letztlich waren es nur zwölf. Zumindest eine neue Zwei-Drittel-Mehrheit Orbans hätte so verhindert werden können - eigentlich das gemeinsame Minimalziel der Opposition.
Zugleich war die Parlamentswahl in bisher einmaliger Weise in der postkommunistischen Geschichte Ungarns ein Referendum - und zwar über Orbans Migrationspolitik. Viktor Orban hatte den Wahlkampf in extremer Weise auf diese eine Frage zugespitzt, indem er sich persönlich als einzige Garantie gegen einen Untergang des ungarischen Staates und der ungarischen Nation, verursacht von unkontrollierter Migration und Einwanderung, dargestellt hatte.
Alle gegen Migranten
Nicht nur hatte die Opposition dem so gut wie nichts entgegenzusetzen - sie wollte auch nicht. In Ungarn herrscht ein parteiübergreifender politischer Konsens darüber, dass "kulturfremde" Einwanderung unerwünscht ist. Streckenweise warfen Teile der Opposition der Orban-Regierung sogar ihren letzten Rest an Humanismus vor - nämlich, dass sie im Rahmen der geltenden Asylgesetze in den letzten Jahren etwa 3.000 Flüchtlinge aufgenommen habe. Letztlich dürften viele Wähler wohl lieber für das berechenbare Original gestimmt haben als für die konfuse Kopie.
Für die Opposition geht es nun erst einmal weiter bergab. Die meisten Parteichefs und Spitzenkandidaten traten von ihren Ämtern zurück, darunter die Chefs der Rechtsaußen-Partei Jobbik, der Sozialistischen Partei (MSZP) und der grün-alternativ-liberalen LMP. In der einst rechtsextremen Jobbik ist der Machtkampf um ihren Kurs in Richtung einer gemäßigteren Rechtspartei bereits offen entbrannt. Die personell noch stark präsenten Radikalen wollen das Lager des zurückgetretenen Parteichefs Gabor Vona entmachten. Dass Jobbik als stärkste Oppositionspartei nun wieder einen klar rechtsextremen Weg einschlägt, ist jedoch unwahrscheinlich, da Orban rechts von Fidesz schlicht keinen Platz mehr lässt.
Eine linke Opposition findet nicht statt
Eine unglückselige Rolle spielt vor allem der Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, der von 2004 bis 2009 einer sozialistisch-liberalen Regierung vorstand. Nominell Sozialist, war er damals für zahlreiche Korruptionsaffären und andere Skandale mit verantwortlich und ermöglichte auf diese Weise auch Orbans Zwei-Drittel-Wahlsieg. Seine jetzige linksliberale Partei "Demokratische Koalition" (DK) ist eine Abspaltung von den Sozialisten der MSZP und brachte es auf immerhin 5,6 Prozent. Doch für die meisten Ungarn ist der "Salonsozialist" Gyurcsany, der privat mit Investment- und Aktiengeschäften ein Millionenvermögen gemacht hat, eine "toxische" Figur. Einen Rückzug aus der Politik schließt Gyurcsany bislang aber aus.
Nicht nur Gyurcsany, auch die MSZP selbst ist ein Hindernis bei der Erneuerung des linken Lagers. Die Sozialisten kommen von ihrem Image als korrupte und lange Zeit neoliberal agierende Nachfolgepartei der Kommunisten nicht los. Eine Hoffnungsfigur für eine künftige linke Opposition könnte hingegen Gergely Karacsony sein, der zur Wahl als gemeinsamer Spitzenkandidat der Sozialisten und der Kleinpartei Parbeszed (Dialog) antrat: Karacsony ist der in Budapest populäre Bürgermeister des 14. Bezirks und der Vorsitzende der linken, ökosozialen Parbeszed. Nach der gestrigen Wahlniederlage sagte er, die Linke in Ungarn müsse von Grund auf neu gestaltet werden. Dazu dürfte auch gehören, sich mehr an einfache, politikferne Ungarn in der Provinz zu wenden, die vielfach in sozialer Not leben. Die linken ebenso wie die liberalen Oppositionsparteien haben diese Wählerschichten bisher häufig ignoriert - im Unterschied etwa zu Jobbik sind sie vor Ort großenteils schlicht nicht vertreten.
Doch ob es überhaupt noch einmal zu einem Rennen zwischen Orbans Fidesz und der Opposition kommt, daran zweifeln manche pessimistischen Beobachter. Möglicherweise, so sagen ungarische Kommentatoren, sei die Parlamentswahl vom Sonntag die vorerst letzte freie gewesen.