Orbáns gefährlicher Ideologie-Export
3. Februar 2020Bislang dürfte das Dorf Ditrau den meisten Rumänen kein Begriff gewesen sein. Abgesehen von seiner mächtigen neogotischen Herz-Jesu-Kirche ist es ein wenig auffälliger Ort im Szeklerland im Südosten Siebenbürgens, einer Gegend, in der überwiegend Angehörige der ungarischen Minderheit leben. Doch nun steht die Gemeinde mit ihren knapp 5.000 Einwohnern seit Tagen im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Anlass ist ein ebenso trauriger wie absurder Fall von Rassismus.
Vor kurzem stellte die Firma "Ditrói Pékség", ein Back- und Teigwarenbetrieb mit 60 Mitarbeitern, zwei gelernte Bäcker aus Sri Lanka ein. Der Grund: Wegen der massiven Abwanderung, des Mangels an Fachkräften und den geringen Löhnen fand die Firma im Ort und in der Umgegend keine geeigneten Arbeitskräfte. Doch die Ankunft der beiden Männer aus Sri Lanka entfesselte im Ort eine Welle des Fremdenhasses. Obwohl völlig legal angestellt, forderten mehrere hundert Dorfbewohner ein "migrantenfreies Ditrau".
Der Fall Ditrau ist einzigartig
Xenophobe Vorfälle sind in Rumänien kein neues Phänomen. Der Fall Ditrau ist dennoch einzigartig. Denn er zeigt, wie Ungarns Premier Viktor Orbán sein illiberales ideologisches System in die Nachbarländer exportiert und in den dortigen Gemeinschaften der ungarischen Minderheiten ethnische Parallelwelten erschafft.
Ditrau (dt. Dittersdorf, ung. Ditró) ist, wie die meisten Dörfer im Szeklerland, nahezu ausschließlich von Ungarn bewohnt, daneben gibt es im Ort eine kleinere Anzahl Roma, Rumänen finden sich nur unter den Dorfpolizisten. Die Szekler Ungarn sind sehr katholisch und gelten als äußerst traditionell und konservativ. Ihre große Mehrheit informiert sich seit langem fast ausschließlich aus staatsnahen ungarischen Medien, die Viktor Orbáns ethno-nationalistische und chauvinistische Ideologie transportieren. Kulturpolitisch leben viele Szekler Ungarn in Ungarn, Rumänien ist für sie kaum ein Bezugspunkt.
Nachdem die Bäcker aus Sri Lanka in Ditrau angekommen waren, trat auf Facebook zunächst eine anonyme Gruppe namens "Migrantenfreies Ditrau" in Erscheinung. Anfang vergangener Woche demonstrierten dann rund zweihundert Menschen vor dem Ditrauer Bürgermeisteramt gegen vermeintliche Überfremdung, angeführt vom örtlichen katholischen Pfarrer Károly Bíró. Gleichzeitig wurde die Vermieterin, bei der die Bäcker aus Sri Lanka wohnten, bedroht - die beiden Männer mussten daraufhin aus dem Dorf wegziehen.
"Diese Vorfälle sind eindeutig xenophob und sie hängen ohne jeden Zweifel mit dem Einfluss der ungarischen Medien in Siebenbürgen zusammen", sagt der siebenbürgische Anwalt Péter Eckstein-Kovács, ein prominenter liberaler Politiker der ungarischen Minderheit in Rumänien, der Deutschen Welle. Eckstein trat 2018 aus dem "Demokratischen Verband der Ungarn in Rumänien" (UDMR), der größten Partei der ungarischen Minderheit in Rumänien, aus, weil sie inzwischen zu einer Art Interessenvertretung von Orbáns Fidesz in Siebenbürgen geworden ist.
Massiver ungarischer Medieneinfluss
Auch der siebenbürgisch-ungarische Journalist Zoltán Sipos von der Transparenz-Plattform Atlatszo, der seit langem zum Einfluss von Orbán und Fidesz in Rumänien recherchiert, sieht den ungarischen Medieneinfluss als stark mitverantwortlich für die Vorfälle in Ditrau. "Wir haben es mit einer Propagandaflut aus ungarischen Medien zu tun, die auf eine eher verschlossene Gesellschaft im Szeklerland trifft", sagt Sipos der Deutschen Welle.
In der rumänischsprachigen Öffentlichkeit haben die Ereignisse von Ditrau ein gewaltiges Echo. In seltener Schärfe verurteilen Kommentatoren die Vorfälle. Erstmals ist Orbáns Ideologieexport das Thema einer breiten Debatte außerhalb des nationalistischen Spektrums. "Unter dem Einfluss der riesigen Geldmenge, die Budapest nach Rumänien wirft, hat der UDMR seine eigene Identität nahezu völlig aufgegeben", schreibt der Journalist Cristian Pantazi vom Portal G4Media. Allerdings nutzen einige rumänische Politiker wie der Ex-Staatschef Traian Basescu die Vorfälle von Ditrau auch für nationalistische Attacken auf die ungarische Minderheit. Der UDMR selbst distanzierte sich erst einige Tage nach den Vorfällen von Xenophobie und Hasspropaganda. Der siebenbürgisch-ungarische Publizist Árpád Kulcsár kritisierte das als scheinheilig, da die Partei, wenn es sich anböte, oft genug selbst gegen Roma oder Rumänen hetze.
Vor Ort in Ditrau stellt sich die Situation unterdessen etwas komplexer dar. Einige protestierende Bewohner sind tatsächlich xenophob eingestellt. Andere aber haben offenbar nicht unbedingt Probleme mit ausländischen Gastarbeitern an sich, wie sie auf einer Ortsversammlung am vergangenen Sonnabend sagten, sondern damit, dass der Backwarenbetrieb mit seiner Einstellungspolitik Lohndrückerei betreibe. In der Vergangenheit sollen zudem Überstunden häufig nicht bezahlt worden sein. Das Besitzerehepaar bestreitet alle Vorwürfe. "Teilweise können die Menschen vor Ort ihre realen Probleme wie geringe Löhne oder die Unterentwicklung der Region sehr schlecht artikulieren", erklärt der Journalist Zoltán Sipos die Gemengelage, "deshalb verwenden sie die Propagandasprache der Medien, die sie konsumieren."
Millionen für die Ungarn in Rumänien
Im Großen und Ganzen bleibt Orbáns Art und Weise der Minderheiten-Unterstützung für ihn dennoch problematisch. Es geht um Summen von umgerechnet Dutzenden Millionen Euro, die jährlich über Stiftungen fließen. "Das alles ist sehr intransparent und es schafft eine Abhängigkeit, die der eigenständigen Entwicklung unserer Minderheit sehr schadet", sagt Sipos.
Ähnlich sieht es auch der Anwalt Péter Eckstein-Kovács. "Es ist gut, dass Ungarn seine Minderheiten unterstützt, aber die Art und Weise ist teils sehr zweifelhaft, zum Beispiel wenn Wirtschaftsförderung auf ethnischer Basis betrieben wird", sagt er. Es sei auch absurd, wenn eine Minderheiten-Gemeinschaft die Regierungspolitik eines anderen Landes vertrete, so Eckstein-Kovács. "Die siebenbürgisch-ungarische Politik", fordert er, "muss wieder unabhängig werden."