Orientalistik andersherum
6. Juli 2004Der Nahe Osten entdeckt den Westen. Die Al-Quds-Universität in Jerusalem bietet seit 2003 das Fach "Amerikastudien" an. Auch die Amerikanische Universität Kairo nennt seit kurzem ein Zentrum für Amerikastudien ihr eigen, zum Großteil finanziert vom saudischen Prinzen Waleed bin Talal (anstelle einer Spende an New York, die der Bürgermeister aber nicht wollte). Und das private "Gulf Research Center" in Dubai (Motto: "Knowledge for All" - Wissen für alle) hat Info-Veranstaltungen über die Zukunft der erweiterten EU auf dem Programm. Im März 2004 gab es hier einen Vortrag des Münchner Politik-Professors Werner Weidenfeld. Gegründet hat das Forschungs-Zentrum der saudische Geschäftsmann Abdulaziz Sager.
Von der Propaganda zur Forschung
Auch wenn viele Hochschulen westliche Fremdsprachen unterrichten - von Kultur, Politik und Gesellschaft kommt offenbar recht wenig rüber. "Es gibt allgemein ein Bildungsdefizit", erklärt Martin Beck, Nahost-Referent des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Arabische Studenten gehen zwar oft ins Ausland, konzentrieren sich dann aber auf technische oder naturwissenschaftliche Fächer.
Dass die europäische und die amerikanische Kultur im Nahen Osten bisher wenig erforscht werden, liege auch an der Vergangenheit, sagt Omar Kamil. Der ägyptische Politik-Wissenschaftler forscht derzeit am Leipziger Simon-Dubnow-Institut für jüdische Kultur. In den 1950er Jahren seien die bis dahin freien Hochschulen nämlich verstaatlicht worden. "Sie waren nicht mehr die Orte freien Denkens, sondern der staatlichen Propaganda."
Langsam erwacht Interesse am Westen
Darum gebe es bis heute in den Geisteswissenschaften oft nur von der Leitung genehmigte Literatur. "Statt der Vernunft der Moderne zu folgen, greifen die Universitäten auf die Vergangenheit zurück, die unsere Schritte in die Moderne stolpern lässt, wenn nicht blockiert", sagt Kamil.
Im Gegensatz dazu haben mehrere Hochschulen einen Anfang gemacht und erforschen, wie der Westen funktioniert. Vor allem beschäftigen sie sich mit den USA. "Die Vereinigten Staaten sind ja gewissermaßen Nachbar geworden, sie gehören zu den regionalen Akteuren", erklärt Martin Beck. Er hat drei Jahre lang an der palästinensischen Universität Birzeit gelehrt.
Aufgeschlossen oder fanatisch?
Dabei hat Beck festgestellt: "Die Studenten wissen mehr von den USA und Europa, als wir vom Orient wissen." Das Wissen sei zwar nicht immer korrekt. "Aber nicht nur in den palästinensischen Gebieten ist das Interesse sehr groß."
Die Erfahrung, dass die Studenten religiös-fanatisch und nationalistisch eingestellt seien, hat er kaum gemacht. Kamil schon: "Die staatlichen Universitäten produzieren ideologisierte, nationalistisch-chauvinistische und neuerdings auch religiös-fanatische Studenten. Selbstkritik ist in diesem Zusammenhang unerwünscht."
Kultur ist eine Seite, Politik die andere
In Kamils Augen steht der Öffnung eine veraltete Angst vor dem christlichen Westen im Weg. Beck hat die Menschen aufgeschlossener erlebt. "Unsere Studie über Anti-Amerikanismus hat als Ergebnis gehabt: Die Menschen trennen zwischen der Außenpolitik der USA und der Kultur. Seit dem Irak-Krieg wird das aber weniger."
Da könnten Unis doch noch Aufklärungsarbeit leisten. Die negative Einstellung zu den Vereinigten Staaten würde dadurch aber nicht besser, meint Beck: "Die US-Politik wird nicht anders bewertet, wenn man sich mit der anderen Kultur beschäftigt." Kamil fürchtet, dass das Interesse am Westen "eine Modeerscheinung ist - ohne Fundamente". Er denkt selber darüber nach, im arabischen Raum ein Institut zu gründen, "das sich der europäischen Geschichte und Kultur widmet." Die Idee sei aber heikel und brauche deswegen noch Zeit.