Nicaragua: Krise ohne Ausweg
18. Oktober 2018Angefangen habe alles Anfang April mit einem Feuer im Naturreservat Indio Maíz im Südosten Nicaraguas: Über Wochen wüteten die Flammen in dem Schutzgebiet, ohne dass die Regierung den Brand in den Griff bekommen und die Vernichtung wertvollen Naturraums verhindert hätte, kritisiert Amaru Ruiz, der Vorsitzende der nicaraguanischen Umweltorganisation Fundación del Río. Studentinnen und Studenten aus der Hauptstadt solidarisierten sich mit den Umweltaktivisten und demonstrierten für die Rettung von Indio Maíz. Schließlich war es der Regen, der die Flammen löschte - doch die Proteste gegen die Regierung haben sich schnell zum Flächenbrand entwickelt, den sie bis heute nicht gestoppt hat.
Dabei war das Feuer im Naturreservat nur der letzte Auslöser, den der Volkszorn brauchte, zusammen mit der Rentenreform vom April, die die Menschen ebenfalls auf die Straße trieb. Zwar nahm die Regierung die Reform wieder zurück, doch die Proteste gingen weiter. Die Unzufriedenheit sitzt tief in Nicaragua. "Es geht um das neoliberale Wirtschaftsmodell des Landes, vom dem nur die großen Unternehmen und ausländische Investoren profitieren", glaubt Umweltaktivist Ruiz. "Hinzu kommen die intransparenten und ungerechten Wahlen, bei denen der Wille des Volkes nicht respektiert wird."
Daniel Ortega, der das Land seit 2006 wieder regiert - schon einmal, nach der erfolgreichen Revolution, war er von 1979 bis 1990 Chef der Regierung -, hat Nicaragua in den vergangenen Jahren in einen autoritären Staat verwandelt, in dem der Präsident nicht nur die drei Staatsgewalten kontrolliert, sondern auch wichtige Institutionen mit Gefolgsleuten besetzt hat.
Regierung versucht Zeit zu gewinnen
Angesichts der anhaltenden Proteste, die von Paramilitärs und staatlichen Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt wurden, erklärte sich die Regierung zur Aufnahme eines nationalen Dialogs mit der "Alianza Cívica por la Justicia y la Democracia" bereit, der von der Bischofskonferenz moderiert wurde. Die "Alianza Cívica" besteht aus Vertretern verschiedener Bereiche der Gesellschaft, ausgewählt von den katholischen Bischöfen. "Es ging um zwei grundsätzliche Forderungen: Gerechtigkeit für die Opfer der Repression und die Demokratisierung des Landes", sagt eine nicaraguanische Journalistin, die anonym bleiben will. "Doch mit der Zeit haben wir verstanden, dass Ortega überhaupt nicht verhandeln wollte. Ihm ging es nur darum, Zeit zu gewinnen, um seinen Repressionsapparat besser zu organisieren."
Doch der nationale Dialog blieb ohne Ergebnis, und die Krise hat sich weiter zugespitzt. Mehr als 300 Menschen sind laut der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) seit Beginn der Proteste getötet worden (Stand Ende August). Unter den anhaltenden Protesten und der angespannten Sicherheitslage leidet auch die Wirtschaft: Tausende Jobs sind in den vergangenen Monaten verloren gegangen, der Warentransport im Transitland Nicaragua ist stark eingeschränkt. Viele Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner haben das Land aufgrund der schwierigen Lage verlassen und sind vor allem ins benachbarte Costa Rica geflüchtet.
Opposition fordert Neuwahlen
Anfang Oktober hat sich nun die "Unidad Nacional Azul y Blanco" gegründet, ein breites gesellschaftliches Bündnis aus mehr als 40 politischen, sozialen und gesellschaftlichen Organisationen, dem auch die "Alianza Cívica" angehört. "Das Ziel ist, für das ganze Land eine gemeinsame Strategie zu entwickeln", sagt die nicaraguanische Journalistin. "Wir brauchen eine friedliche Lösung für den Konflikt, die zu vorgezogenen Neuwahlen führt."
Ob sich Präsident Ortega darauf einlassen wird, ist allerdings zweifelhaft. Denn obwohl er das Land in den vergangenen Monaten in die internationale Isolation geführt hat, setzt er lieber auf stärkere Repression, als von der Macht zu lassen - und beschuldigt ausländische Kräfte, für das Chaos im Land verantwortlich zu sein. Die nicaraguanische Journalistin glaubt nicht daran: "Seit April wurden Menschen im ganzen Land ermordet, und die Mörder laufen frei herum", sagt die Journalistin. "Die schwierigste Aufgabe steht uns erst noch bevor: nicht nur die Entwaffnung der Paramilitärs und die Neuordnung von Polizei und Armee, sondern die Heilung der Wunden in der Gesellschaft, die so viel Schmerz und Gewalt erfahren hat."