"Moonlight": mehr als Sozialromantik
27. Februar 2017Noch kurz vor der Oscarverleihung wurde in den Medien die Frage gestellt, ob die Academy of Motion Picture Arts and Sciences das Drama über den Überlebenskampf eines jungen Homosexuellen als besten Film auszeichnen oder den Zuschlag doch dem erfolgreichen Hochglanzmusical "La La Land" geben würde. Dieses war dafür kritisiert worden, dass es zwar als Liebeserklärung an den Jazz deklariert, dennoch aber mit einer überwiegend weißen Besetzung gedreht worden sei.
Umso pikanter war die Panne, die bei der Verleihung passierte. Aus Versehen wurde "La La Land" als Gewinner in der Kategorie "Bester Film" ausgerufen. Verwirrung auf der Bühne, Chaos bei den Verantwortlichen der Academy. Am Schluss wurde dann doch "Moonlight" ausgezeichnet. Ein Erfolg, mit dem Regisseur Barry Jenkins sicher nicht gerechnet hat. Als Underdog hat er sich aus schwierigen familiären Verhältnissen zum erfolgreichen Hollywood-Regisseur hochgearbeitet.
Kindheit im Problemviertel
Jenkins wurde 1979 in Liberty City geboren, einem armen Schwarzenviertel in Miami. Ursprünglich als Modellsiedlung entworfen, wohnten dort in der 1980er-Jahren vor allem Arme und kinderreiche Familien. Seine Mutter war dem Crack verfallen, der Vater trank und zahlte keinen Unterhalt für die Kinder. Mit drei Jahren zog Barry mit zwei seiner älteren Geschwister in die enge Wohnung der Großmutter. "Manchmal hatten wir kein heißes Wasser, manchmal ging das Telefon nicht", erzählt er in einem Interview mit "Zeit Online". "Der Junge in 'Moonlight', das bin ich."
Das Drehbuch zu "Moonlight" hat Jenkins basierend auf dem Theaterstück "In Moonlight Black Boys Look Blue" seines Freundes Tarell Alvin McCraney geschrieben. Das Originalstück ist nie aufgeführt worden, doch für die kongeniale Adaption erhielten die beiden nun jeweils einen Oscar. McCraney ist, genau wie Jenkins, im Ghetto von Liberty City aufgewachsen und seine drogenabhängige Mutter starb an den Folgen von AIDS - genau wie Paula (gespielt von Naomie Harris), die Mutter der Hauptfigur Chiron in "Moonlight".
Prall gefülltes Triptychon
Bei allem harten Realismus will "Moonlight" kein Sozialdrama sein, sondern vor allem eine Coming of Age-Story über Liebe, Vertrauen und den Kampf ums Überleben. Der Film besteht aus drei Teilen, die für wichtige Lebensabschnitte der Hauptfigur stehen und in sich geschlossen sind. Sie könnten als Kurzfilme für sich alleine stehen, ergeben aber in ihrer Gesamtheit - ähnlich wie ein Triptychon - ein größeres Ganzes. Die Hauptfigur des Films wird in ihren unterschiedlichen Altersstufen von drei Schauspielern dargestellt: Alex R. Hibbert spielt den jungen Chiron alias "Little", Ashton Sanders den heranwachsenden Chiron und Trevante Rhodes spielt "Black", die erwachsene Version.
Der schüchterne Chiron wächst ohne Vater auf. Wegen seiner Zartheit gilt er als Außenseiter, wird in der Schule gehänselt und oft zusammengeschlagen. Sein einziger Freund ist der warmherzige Drogenhändler Juan (gespielt von Mahershala Ali), der Chiron gemeinsam mit seiner Frau Teresa (gespielt von Soulsängerin Janelle Monáe) unter seine Fittiche nimmt. Von seinen Ersatzeltern lernt Chiron, dass nur er selbst die Entscheidung treffen kann, wie er leben will. Später macht er mit seiner ersten Liebe Kevin homosexuelle Erfahrungen. Ausgerechnet Kevin wird Chiron später verraten. Doch es gibt ein Wiedersehen der beiden… Die Story trägt stark autobiografische Züge der beiden Autoren - sowohl des homosexuellen McCraney als auch des heterosexuellen Jenkins.
Entscheidung als Statement?
Mahershala Ali wurde am Sonntag für seine herausragende Leistung in der Rolle des Juan mit dem Oscar für den besten Nebendarsteller ausgezeichnet. Gemeinsam mit Alex R. Hibbert, der den jungen Chiron einfühlsam verkörpert, bewahrt Ali den Film vor jeglicher verkitschter Sozialromantik.
"Moonlight" ist der erste oscarprämierte Film, der die Lebensrealität afroamerikanischer US-Amerikaner mit einer schwul-lesbischen Thematik verbindet. Damit hat die Academy in diesem Jahr insgesamt mehr afroamerikanische Schauspieler ausgezeichnet als jemals zuvor. Für viele liegt es nun sicher nah zu vermuten, dass die letztjährige Protestaktion #OscarSoWhite gegen die Bevorzugung weißer Künstler endlich Wirkung gezeigt hat. Wahrscheinlicher ist, dass die diesjährigen Preisträger mit afroamerikanischer Thematik ("Moonlight", "Fences" und "O.J.: Made in America") schlicht und ergreifend unter den besten Filmen des Jahres waren.