Filmfestival Cottbus
5. November 2012Was haben der Freiheitskampf des polnischen Volkes bis zur Wende 1989, die Kriege im auseinanderbrechenden Jugoslawien, der Dauerkonflikt im Kaukasus oder auch der Skandal-Auftritt der Frauengruppe "Pussy Riot“ in der Moskauer Erlöserkirche gemeinsam? Wie in allen Konflikten Mittel- und Osteuropas spielt Religion eine Schlüsselrolle. Sie funktioniert als Mittel der Identität und Abgrenzung. "Es sind Konflikte, die als religiös bezeichnet werden", sagt der Filmexperte Bernd Buder.
Als Kurator verantwortet er den Schwerpunkt "Osteuropa der Religionen" beim diesjährigen Festival des osteuropäischen Films in Cottbus. Dieser umfasst 17 Beiträge aus neun Ländern. Alle sollen "konkret das Religiöse sichtbar machen". In den sozialistischen Gesellschaften Osteuropas habe Religion zwar offiziell keine Rolle gespielt. "Inoffiziell aber schon", betont Buder im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Und noch heute wird Religion in Osteuropa häufig innenpolitisch instrumentalisiert“ -und damit nicht selten zum Katalysator militärischer Konflikte.
Einen Film aus der Seele seines Volkes der Wendezeit hat der polnische Regisseur und Autor Rafal Wieczynski gedreht: "Popieluszko – die Freiheit in uns". Der knapp zweieinhalb Stunden lange, opulente Streifen lockte 2009 in Polen mehr als 1,3 Millionen Besucher in die Kinos und wurde so zum Kassenschlager.
Der Priester als Held
Wieczynski stilisiert den 1984 vom polnischen Staatssicherheitsdienst ermordeten "Solidarnosc-Priester“ Jerzy Popieluszko zum Helden. Er zeigt ihn von der menschlichen Seite und betont das Märtyrerhafte. So verweist Wieczynski auf die Schlüsselrolle der Kirche beim Umbruch in seinem Land.
Gegensätze zwischen Nationalismus und Religion zeigen zwei Dokumentarfilme der preisgekrönten estnischen Filmemacherin Katarina Uibo. Sie spielen beide im Kosovo, wo selbst die Präsenz internationaler Truppen die Kluft nur mühsam zudecken kann. In "Narrow is the Gate“ von 2002 gelangen die orthodoxen Priester an der Seite von Nato-Militärgeistlichen noch im gepanzerten Konvoi oder im UN-Hubschrauber ins serbisch-orthodoxe Kloster Gracanica.
Sie treffen die alte Nonne Teodora, die ihrerseits Nächstenliebe und Missachtung für die muslimischen Nachbarn munter mischt. Neun Jahre später, in "This is the day", scheint die Kriegsatmosphäre verschwunden. Doch nur wenige Minuten eines kommentarlosen Kamerablicks auf das serbisch-orthodoxe Kloster Velika Hoca genügen, um hinter der Stille des Klosterlebens die schreiende Kälte des ethnischen Konflikts zu spüren.
Suche nach religiöser Identität
Zwei polnische Filme thematisieren die Wiederentdeckung jüdischer Identität. Und beide nehmen ihren Ausgang in rechtsextremen und antisemitischen Umtrieben junger Leute. In "My Australia“ von Ami Drozd sind es die Brüder Tadek und Andrzej im Lodz der frühen 1960er Jahre, die mit Freunden um die Häuser ziehen und jüdische Schüler zusammenschlagen.
Ihre alleinerziehende Mutter – verzweifelt, wie sie ist - kündigt ihnen an, nach Australien auszuwandern, ins Land ihrer Kindheitsträume. Doch führt die Schiffsreise nach Israel. Die katholisch sozialisierten Jungen erfahren erst hier von der bislang verheimlichten jüdischen Identität der Mutter.
Nicht alle Filme kreisen um Gewalt und Religion. Auch Humor kommt vor, und Leichtigkeit. Da ist "Dreaming the path", in dem der litauische Regisseur Jokubas Vilius Turas seine knapp 4.500 Kilometer und sechs Monate langen Pilgerreise nach Santiago de Compostela erzählt. Oder das humorige B-Movie "Loveless Zorica“ von Radoslav Pavkovic und Hristina Hatziharalabous, eine Persiflage auf Aberglauben in der serbischen Provinz.
Verhältnis von Staat und Kirche?
Auch in Deutschland wächst der Stellenwert von Glaube und Religion, sagt Horst-Peter Koll, Chefredakteur des renommierten katholischen Filmmagazins "film-dienst": "In osteuropäischen Ländern hingegen sind die Verwurzelungen viel intensiver, gewiss auch heikler", "weil sich Staat und Kirche in einem viel komplexeren Spannungsverhältnis bewegen".
Das Filmfestival von Cottbus genießt auch in seinem 21. Jahr international einen guten Ruf. Vor jedem Film, der über die Leinwand flimmert, läuft der knapp 40-sekündige Trailer.
Der beginnt mit einer Szene in der Sauna. Wir sehen eine Runde schwitzender Menschen, die ebenso orthodoxe oder westliche Christen, Juden oder Muslime sein könnten. In der Sauna und vor Gott, so die Aussage, sind wir alle gleich. Im Film sind sie alle interessant.