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PolitikAfrika

Ostkongo: Das Recht des Stärkeren

Antonio Cascais
10. November 2021

Neue Zusammenstöße im Osten der Demokratischen Republik Kongo zeigen: Der Jahrzehnte währende Konflikt zwischen wechselnden Rebellengruppen, Bürgermilizen und Regierungstruppen flammt erneut auf.

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Kongo Milizen und Helfer CNDP Symbolbild (Foto: Uriel Sinai/Getty Images)
Archivbild: Kämpfer der CNDP-Miliz im Ostkongo im November 2008Bild: Getty Images/U. Sinai

Es ist nur eine kleine Meldung, die außerhalb Kongos und abseits eines kleinen Kreises von Beobachtern kaum wahrgenommen wird: Von Sonntag auf Montag hätten Rebellen Positionen der kongolesischen Armee bei Rutshuru in der Provinz Nordkivu angegriffen, meldet die Armee. Die Angreifer seien Kämpfer der Bewegung des 23. März (M23). Diese dementierten prompt und verwiesen auf "sehr fruchtbare" Verhandlungen mit der Regierung in Kinshasa mit Ergebnissen, deren Umsetzung man "ungeduldig" erwarte.

Erst vergangene Woche hatte die DW von "nackter Panik" in Bukavu, der Provinzhauptstadt Südkivus, berichtet. "Wir leben alle mit großer Angst im Bauch", schilderte Straßenhändler Amos Bisimwa die Situation. "Niemand weiß, wie die nächste Nacht wird, geschweige denn, ob er sie überhaupt überlebt." Grund war ein bewaffneter Angriff, der der neuen CPCA-A64-Miliz zugeschrieben wird. Erst nach mehreren Tagen unter Feuer schaffte es die kongolesische Armee (FARDC), die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Armee gibt an, sechs Milizionäre getötet und 36 weitere gefangengenommen zu haben. Drei FARDC-Soldaten seien bei den Kämpfen getötet worden.

Zwei Ereignisse, die zeigen, wie schlecht es um die staatliche Autorität im Osten der Demokratischen Republik Kongo bestellt ist. Leidtragende sind die Schwächsten: Rund 5,2 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen, darunter drei Millionen Kinder - in einem vielschichtigen Konflikt, der Jahrzehnte zurückreicht.

Kivu: Die Auswirkungen des Völkermords in Ruanda

Die im Osten an Burundi, Ruanda und Uganda grenzenden Provinzen Nord- und Südkivu bekamen 1994 die Auswirkungen des Völkermords in Ruanda unmittelbar zu spüren. Hunderttausende Ruander fanden dort Zuflucht - darunter viele Haupttäter des Genozids an den Tutsi und an gemäßigten Hutu. Von dort aus verübten sie weiterhin Angriffe auf Ruanda und auf schon damals im Kongo ansässige Tutsi. Unter der Bezeichnung "Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas" (FDLR) arbeiteten die Hutu-Kämpfer am Sturz der neuen, von Tutsi geführten ruandischen Regierung.

Karte DR Kongo Uganda Ruanda Burundi DE

Die Bedrohung durch die FDLR war für Ruanda nicht tragbar. 1996 marschierte ein breites Bündnis verschiedenster bewaffneter Gruppen, darunter ruandische Soldaten, von Osten her in das damalige Zaire ein. Der erste Kongokrieg endete im Mai 1997 mit der Absetzung des langjährigen Diktators Mobutu und der Machtübernahme durch Laurent Kabila. Die - wenn auch stark dezimierten - FDLR-Kämpfer blieben, neue Rebellengruppen und Bürgermilizen kamen hinzu.

Erst 1999 wurde die Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (MONUC) aufgestellt, die heute noch mit circa 15.000 Soldaten unter dem Namen MONUSCO in der Region präsent ist. Doch auch die UN-Friedenstruppen konnten nicht verhindern, dass sich in der Region viele unterschiedliche Stellungskriege entwickelten, die bis heute schwelen und in denen scheinbar keine Seite imstande ist, einen Sieg zu erringen.

Immer neue Rebellengruppen

Immer neue Rebellenorganisationen traten über die Jahrzehnte in den Krieg ein. Darunter der "Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes" (CNDP) des ehemaligen kongolesischen Generals Laurent Nkunda, dem es 2004 gelang, einen Großteil des Kivu-Gebiets unter seine Kontrolle zu bringen. Nkunda, selbst ein kongolesischer Tutsi, gab an, seine Truppen würden die Tutsi gegen Übergriffe der FDLR verteidigen. Der kongolesischen Regierung warf er vor, die FDLR zu unterstützen oder zumindest nichts gegen sie zu unternehmen.

Demokratische Republik Kongo | Unterzeichnung Friedensabkommen zwischen Rebellen und Regierung
Auch zahlreiche Abkommen mit Rebellengruppen - hier im Südkivu 2020 - konnten keinen dauerhaften Frieden bringenBild: Ernest Muhero/DW

Auch nach der Verhaftung Nkundas und der Auflösung seiner CNDP konnten die von den UN-Friedenstruppen unterstützten kongolesischen FARDC-Soldaten nicht verhindern, dass sich immer wieder neue Rebellengruppen gründeten, die behaupteten, den Osten Kongos "befreien" zu wollen. Eine dieser Gruppen ist die sogenannte "Koalition kongolesischer Patrioten zur Anwendung des Artikels 64" (CPCA-A64), die für den Angriff auf Bukavu in Südkivu verantwortlich gemacht wird. Sie selbst bezeichnet sich als "positive Kraft". Der Artikel 64 der kongolesischen Verfassung fordert alle Kongolesen dazu auf, sich Gruppen entgegenzustellen, deren Machtausübung nicht von der Verfassung gedeckt ist.

Scheitern der Armee - Scheitern der Regierung Tshisekedi?

Die Wiederherstellung der Ordnung im Ostkongo, fernab der Hauptstadt im Westen, ist erklärtes Ziel vieler bewaffneter Gruppen. Über die wahre Motivation der Kämpfer lässt sich davon allerdings wenig ableiten. Während einige Gruppen sich entlang ethnischer Linien formieren, gibt es oft keine erkennbaren ideologischen oder politischen Ziele. Die grenzüberschreitende Kriminalität ist für das Nachbarland Ruanda ein Anlass, selbst aktiv zu werden. Immer wieder berichten Anwohner von ruandischen Soldaten auf kongolesischem Gebiet.

UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow | Felix Tshisekedi, Präsident DR Kongo (Foto: PAUL ELLIS/POOL/AFP via Getty Images)
Präsident Félix Tshisekedi, hier bei der COP 26 in Glasgow. In seiner Heimat wächst der FrustBild: Pau Ellis/AFP/Getty Images

"Was hier passiert, ist eine schwere Demütigung für uns Kongolesen", sagte Josué Walayi, ein Bewohner des Bezirks Nyiragongo in Nordkivu, der DW. Die Ruander hielten seit längerem mehrere Dörfer auf kongolesischem Gebiet besetzt. Für die kongolesische Bevölkerung sei das inakzeptabel. Die Provinz Nordkivu werde seit sechs Monaten praktisch von fremden Truppen belagert.

Die augenscheinliche Machtlosigkeit Kinshasas im Osten wirft bei vielen Kongolesen die Frage auf, was mit dem einzigen demokratische Machtwechsel seit dem Ende der Mobutu-Ära gewonnen ist. Präsident Félix Tshisekedi, der seit Januar 2019 im Kongo regiert, hatte versprochen, die Sicherheit in den Kivu-Provinzen zu verbessern. Die Opposition verkündet bereits das Scheitern der Regierung Tshisekedi. "Wir haben Millionen Kongolesen verloren. Wann wird es enden?", fragte der kongolesische Oppositionspolitiker Martin Fayulu jüngst im DW-Interview. Die Hoffnungen in den neuen Präsidenten haben sich bislang nicht bestätigt.

Mitarbeit: Jean Noël Ba-Mweze, Wendy Bashi, Mude Eldorado